Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Weidefleisch essen

Weidefleisch schmeckt anders als konventionelle Ware und das Fleisch einiger Rassen erfordert besondere Beachtung bei der Zubereitung. Verstehen Landwirt wie Verbraucher sich auf die ideale Verwertung des Erzeugnisses, dient das dem Erfolg der Vermarktung.

Alles vom Tier genießen: Nose-to-tail-eating

Traditionell bezieht sich die englische Phrase Nose-to-tail-eating auf die Stücke jenseits von Steak, Braten und Hackfleisch, die sonst einfach übrig sind: Schwanz, Füße (Klauen), Herz, Leber oder Nase. Man kann das ganze Tier essen, von Kopf bis Fuß und von Nase bis Schwanz. Alles sind Delikatessen. Für den Weidefleischgenuss ist wichtig, dass wir uns wegbewegen von der Extremvorstellung der Edelteile und uns das gesamte Spektrum bis hin zu den Innereien erschließen: Eine Schatztruhe für unsere Ernährung.

Was sind Edelteile?

Der Begriff Edelteile hat sich etabliert für Stücke wie das Filet oder besondere Steaks aus dem Rückenstrang. Dies führt jedoch zu einer unrealistischen und schädlichen Gruppierung der Stücke. Es suggeriert, bestimmte Steaks wären grundsätzlich besser als andere. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn jedes Stück vom Tier ist exzellent – wenn man es richtig zubereitet.

Unrealistisch ist diese Einteilung, weil es auch außerhalb der herkömmlichen Gruppe der Edelteile Stücke gibt, welche die gleichen Qualitäten besitzen und sie nicht selten sogar übertreffen. Man betrachte als Beispiel nur das Flat Iron Steak aus der Schulter, welches dem Filet in seiner Zartheit kaum nachsteht, jedoch obendrein erheblich mehr Aromen- und Texturvielfalt bietet. Trotzdem führt das Filet die Spitze der Begehrtheitslisten an, obwohl es nur rund drei Prozent des Schlachtgewichts ausmacht. Seinen Beitrag dazu leistet der im Verhältnis hohe Preis, der sich nur hält, gerade weil das Filet diesen Ruf innehat. Das erinnert an des Kaisers neue Kleider.

Schädlich ist diese Einteilung, weil sie zu Verschwendung führt und letztlich die Vermarktung erschwert oder ganz unmöglich macht. Denn die Folge ist, dass Teile wie Herz und Leber sich schwer verkaufen lassen und daher nur einen geringen Preis einfahren oder, im schlimmsten Fall, im Abfall landen.

Daher ist wichtig, wieder zu lernen, wie wir mit einfachen Mitteln jedes Stück vom Tier in eine Delikatesse verwandeln können. Für so scheinbar schlichte Erzeugnisse wie Hackfleisch, Braten und Schulter, aber auch Leber, Herz und Nieren gibt es zahlreiche Rezepte, die mit einfachen Mitteln das Zaubern eines Festmahls erlauben.

Dies ist jedoch kein Kochbuch und es gibt bereits ausreichend Kochanleitungen hoher Qualität.

Zartheit ist nicht alles

„Es war schön zart“ ist die wohl häufigste Antwort auf die Frage, wie das Steak geschmeckt hat. Mit anderen Worten: Man musste wenig kauen. Doch was ist daran gut? Kaum jemand mag auf einer sprichwörtlichen Schuhsohle herumkauen. Doch ginge es allein darum, wenig zu kauen, könnten wir unsere Steaks auch pürieren und trinken.

Mindestens so wichtig wie die Textur ist allerdings das Aroma. Ohne Aroma schmeckt auch das zarteste Stück nach nichts. Und Aroma bietet das Filet verhältnismäßig wenig. Gerade dort bieten Nierenzapfen und Saumfleisch, Ribeye und Flat Iron Steak erheblich mehr.

Daher sollten wir dem Attribut Zartheit nicht mehr die höchste Aufmerksamkeit schenken.

Marmorierung ist nicht alles

Anteil, Verteilung und absolute Menge des Fetts im Fleisch, intermuskuäres oder intramuskuläres Fett beeinflussen den Geschmack des Fleischs und bestimmen auch, welche die optimale Zubereitungsmethode ist. Allerdings legen viele Anbieter und Abnehmer zu großen Wert auf eine spektakuläre Marmorierung. Der Fokus auf die Marmorierung ist ähnlich eindimensional wie die wahnsinnige Suche nach Zartheit.

Von Bedeutung ist zuerst die Qualität des Fleischs und des Fettanteils, ganz gleich wie groß er ist. Eine starke Marmorierung nützt niemandem, wenn Fett und Fleisch aufgrund ungünstiger Fütterung keinen guten Geschmack entwickelt haben.

Wundervoller Geschmack lässt sich in jedem Stück eines gut gelebten Weidetieres finden. Auch ein von Natur aus eher mageres Galloway- oder Hochlandrind schmeckt köstlich – wenn man es richtig zubereitet.

Fest ist nicht gleich zäh

Es sind gerade die unterschiedlichen Texturen und somit auch Festigkeiten, die verschiedene Stücke vom Rind so interessant machen. Der Nierenzapfen zum Beispiel besteht aus langen, festen Fasern, die etwas mehr Kauarbeit erfordern. Doch zu keinem Zeitpunkt, korrekte Zubereitung vorausgesetzt, ist das Stück zäh.

Zäh wirkt ein Stück Fleisch dann, wenn es zu heiß gegart wurde. Die Fasern ziehen sich zusammen, die Eiweiße verhärten und leisten Widerstand. Je nach Stück und Garmethode in unterschiedlichem Umfang.

Auch ein Stück Sehne im Fleisch kann das Gefühl von Zähigkeit vermitteln. Das kann auch in solchen Stücken geschehen, die im Übrigen zart sind. Der Fehler liegt dann nicht im Fleisch, sondern im Zuschnitt. Letztlich hilft hier Aufmerksamkeit beim Essen und die Bereitschaft, um die Sehne herumzuschneiden und sie auf dem Teller liegenzulassen, statt darauf herumzukauen.

Innereien genießen

Die Innereien bieten neben einer großen Aromenvielfalt mitunter den höchsten Nährstoffanteil im gesamten Tier. Das bedeutet Hochgenuss bei zugleich großem Nutzen für die Gesundheit – in der Regel deutlich mehr als durch jedes Stück Muskelfleisch.

Zu den bei der Schlachtung anfallenden Innereien gehören zum Beispiel das Herz mit seinem im Tier einzigartigen Muskelgewebe; der Nierenzapfen (alias Hanging Tender oder Onglet) mit einer ebenfalls einzigartigen Textur, saftig und zart; die Leber, die leider zu oft zur Schuhsohle gebraten wird; die Niere, welche leider nicht immer und bei jedem Tier das ideale Aroma mitbringt und dann etwas Nachhilfe benötigt; oder die Zunge, eine Wunderwelt der Texturen.

Aus fachlicher Sicht gehören auch Stücke wie das Kronfleisch (alias Saumfleisch; Skirt Steak) zu den Innereien, obwohl es einfache Muskeln sind, absolut vergleichbar mit dem Flank Steak (aus Bauchlappen). Gerade das Kronfleisch gerät bei vielen Schlachtungen unter die Räder oder scheint praktisch zu verschwinden. Das ist ein echter Verlust, denn es findet meist großen Anklang, wenn man es Uneingeweihten frisch vom Grill verabreicht.

Ein Abstecher in das Innere des Tieres lohnt sich also. Und die entsprechenden Rezepte müssen keine Abenteuer sein: Das Herz lässt sich zum Beispiel, in dünne Scheiben geschnitten, kurzbraten oder gewürfelt wie ein Gulasch zubereiten. In kleine Würfel schneiden, drei Stunden schmoren, genießen. Auch die Zubereitung von Nierenzapfen und Skirt Steak sind auf einem heißen Grill ein Kinderspiel. Leber mit Zwiebeln? Köstlich, wenn man sich an die einfache Regel hält: Nicht zu lange und zu heiß.

Jedes Stück vom Tier ist wertvoll und kann den Gaumen erfreuen.

Ohren, Schwanz, Füße, Knochen: Die anderen Teile

Wenn Steaks und Braten, Hack und Innereien verkauft sind, bleiben besonders beim Schwein noch einige wertvolle Stücke übrig: Zum Beispiel Ohren, Schwanz und Füße. Als erstklassige Gelatinequelle verwendet man sie oft in der Zubereitung verschiedener Würste. Bleiben sie dennoch übrig, kann man auch sie an den Endkunden verkaufen. Reißenden Absatz finden sie nicht nur bei Freunden der chinesischen Küche, sondern bei jedem, der gerne eine satte Brühe selbst kocht – wofür sich auch Rinderknochen bestens eignen. Hilfreich zum Vergrößern dieser Kundenbasis ist, wenn man selbst aus Erfahrung darüber sprechen kann, es also wenigstens auch einmal ausprobiert hat. Ein Flyer mit passenden Rezepten hilft dem Kunden.

Mager oder fett: Unterschiede in der Zubereitung

Je fetter ein Stück Fleisch ist, desto versöhnlicher lässt es sich zubereiten. Das liegt nicht allein an dem Gefühl der Saftigkeit, das Fett beiträgt, sondern hat einen physikalischen Hintergrund: Fett transportiert Hitze langsamer als reines Muskelgewebe.

Bei hoher Hitze besonders auf dem Grill bleibt demnach bei einem mageren Stück Fleisch ein deutlich kürzeres Zeitfenster für den optimalen Garzeitpunkt als bei einem fetten Stück. Das gilt für jede Hitzeeinwirkung: Gerade wenn es um das Kurzbraten geht, wird mageres Fleisch schneller zur gefürchteten Schuhsohle.

Das bedeutet: Das eher fettarme Fleisch eines Galloway- oder Hochlandrindes eignet sich grundsätzlich auch für den Grill, erfordert jedoch etwas mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt als zum Beispiel ein stark durchwachsenes Steak vom Angus-Rind.

Gleiches gilt für alle Arten der Zubereitung mit Hitze: Mageres Fleisch glänzt bei langsamer Zubereitung mittels geringer Hitze, seine feinen Aromen entfalten sich hervorragend beim Niedrigtemperaturgaren und natürlich Methoden wie Sous Vide. Hohe Hitze ist nicht nötig, um ein solches Stück appetitlich zuzubereiten. Höchstens der vielzitierte Kuss durch die Flammen, ein paar Sekunden auf dem Grill, um das Stück mit einer braunen Kruste zu versehen, wäre dienlich.

Im Gegensatz dazu drängt sich hohe Hitze (auch hier jedoch: nicht zu lange) bei einem fetten Stück geradezu auf, um selbiges zum Schmelzen zu bringen und besser im Stück zu verteilen. Gerade Rinderfett empfinden viele Menschen aufgrund des hohen Schmelzpunktes als unappetitlich, wenn es zu kalt ist: Die Temperatur auf der Zunge genügt meist nicht, damit es angenehm die Kehle herunter flutscht. Das gilt noch stärker für Lamm- bzw. Schaffleisch: Kalt serviert klebt es meist am Gaumen wie Wachs.

[Weiter geht es im kommenden Beitrag. Mehr Tipps zur erfolgreichen Vermarktung, zum Finden von mehr Kunden, Erreichen besserer Kundenbindung und zur Erzielung höherer Margen gibt es in den vorangegangenen Episoden. Alles weitere dazu auch im Weidefleisch.org-Podcast auf allen gängigen Plattformen.]