Fleisch muss nach dem Schlachten reifen, sonst wird es zäh, trocken und säuerlich. Traditionell ließ man das Fleisch nach dem Schlachten in Hälften oder Vierteln einige Zeit unter kontrollierter Temperatur und Luftfeuchtigkeit am Haken hängen, daher stammt der Begriff Abhängen. Ergebnis gelungener Fleischreifung ist zartes, dunkles, saftiges und aromatisches Fleisch.

Die nötige Zeit hängt ab von Tierart und Fleischstück (Qualität, Zuschnitt, Fettabdeckung). Der optimale Zeitraum ist Geschmacksache, daher fasse ich meine Recherchen mit eigenen Erfahrungen zusammen:

  • Rindfleisch sollte wenigstens vier Wochen reifen. Zwei Wochen, das absolute Minimum, sind verschenktes Potenzial. Oberhalb vier Wochen geht der Zugewinn langsamer voran. Zwei bis drei Monate sind weniger üblich, Extremfälle gehen teils weit darüber hinaus.1
  • Lamm: Wenigstens eine Woche. Mehr ist möglich und ratsam.
  • Hammel: Wenigstens drei Wochen, bis drei Monate sind nicht unüblich.2, 3
  • Schwein: Schweinefleisch verträgt eine einwöchige Fleischreifung. Mehr ist möglich, jedoch selten.4
  • Geflügel: Einige Tage und mehr sind machbar und zuträglich.

Diese Zeiten gelten für das traditionelle Abhängen (Trockenreife, engl. dry-aging). Dabei verliert das Fleisch Feuchtigkeit, wird jedoch saftiger. Was paradox klingt, ist einfach zu erklären: Kurz nach dem Schlachten ist die Wasserbindefähigkeit der Muskeln minimal; sie nimmt erst mit der Reifung wieder zu.

Dem gegenüber steht die Reifung im Plastikbeutel (engl. wet-aging); dabei wird das Fleisch direkt nach der Schlachtung zugeschnitten und verpackt. Es kann auch dann reifen, jedoch nie die Intensität von traditionell abgehangenem Fleisch erreichen. Oft schmeckt es leicht metallisch und säuerlich.5

Hintergrund: Was passiert bei der Fleischreifung?

Kurz nach dem Schlachten tritt die Totenstarre ein. Den Muskelfasen geht die Energie aus, sie ziehen sich zusammen und bleiben in diesem Zustand. Würde man das Fleisch nun garen, wäre es zäh.

Bald darauf beginnen Enzyme in den Muskelfasern, die Struktur der Filamente zu zersetzen. Der gesamte Muskel erweicht. Das ist der Anfang des Reifeprozesses (engl. aging).

Wie Käse und Wein gewinnt auch Fleisch durch die langsame chemische Veränderung bei der Reifung. Es wird zarter und aromatischer. Geschmack und Textur von Rindfleisch verbessern sich über einen Monat und länger; besonders, wenn große Stücke unverpackt bei 1-3 °C und relativer Luftfeuchtigkeit von 70-80 % lagern (sogenannte Trockenreife bzw. engl. dry-aging). Die niedrige Temperatur begrenzt das Mikrobenwachstum und die moderate Feuchtigkeit bewirkt einen allmählichen Feuchtigkeitsverlust, das Fleisch verdichtet und konzentriert sich.

Während der Fleischreifung zersetzen Enzyme große, geschmacklose Moleküle in kleine aromatische Fragmente. Proteine verwandeln sie in herzhafte Aminosäuren; Glycogen in süße Glucose; ATP in deftiges IMP und Fette in aromatische Fettsäuren. All diese Abbauprodukte tragen bei zum intensiv fleischigen, nussigen Aroma gereiften Fleisches. Und genau diese Bestandteile reagieren beim Kochen miteinander und reichern den Geschmack weiter an. Deswegen ist eine stressfreie Schlachtung zum Beispiel durch Kugelschuss auf der Weide wichtig: Denn sind die Glycogenspeicher in den Muskeln durch Stress oder Erschöpfung vor dem Tod leer, beeinflusst das den Reifeprozess.6

Indem die Enzyme die Muskelproteine zersetzen, machen sie das Fleisch zarter. Weitere Folgen dieser Aktivität: Während des Kochens löst sich mehr Kollagen in Gelatine, es wird saftiger; und es schwächt den Druck des Bindegewebes während des Erhitzens. Dadurch verliert das Fleisch beim Kochen weniger Flüssigkeit.

Höhere Temperaturen (bis 40 °C) beschleunigen die Reifeprozesse, allerdings auch das Mikrobenwachstum. Blanchiert man das Fleisch zuvor (um die Mikroben abzutöten), kann man anschließend durch Niedrigtemperaturgaren über mehrere Stunden die höhere Enzymaktivität nutzen.7

Fleischreifung ist, unverblümt ausgedrückt, kontrolliertes Verrotten. Genau wie bei Bier, Sauerteigbrot und Sauerkraut. Im 19. Jahrhundert war es üblich, Fleischstücke Tage oder Wochen bei Zimmertemperatur zu lagern, bis sie außen sichtbar verrottet waren.

Das meiste Fleisch in Supermärkten und Handelsketten ist heute nur zufällig und wenige Tage gereift, nämlich durch die Transportzeit vom Schlachthaus ins Ladenregal. Die traditionelle Trockenreife (engl. dry-aging) ist für die Industrie trotz der höheren Qualität uninteressant, weil sie Zeit kostet und das Fleisch durch den Flüssigkeitsverlust rund 20 % Gewicht einbüßt sowie vertrocknete Oberflächen weggeschnitten werden müssen. Viele Verarbeiter lassen daher das Fleisch nur im Plastikbeutel (wet-aging, siehe oben) reifen.

Das Fleisch aus vier- bis achtwöchiger Trockenreife wiegt weniger, scheint also gegenüber ungereiftem Fleisch teurer. Der Verlust besteht jedoch nur aus etwas Wasser: Der Nährwert eines gut gereiften 180 g-Steaks gleicht dem eines ungereiften 200 g-Steaks. Die Qualität hingegen ist erheblich höher; die Produkte sind nicht vergleichbar. Letztlich hat man beim Essen mehr davon.

Fußnoten

  1. Dashmaa Dashdorj et al. Dry aging of beef; Review. J Anim Sci Technol. 2016; 58: 20. 19 May 2016.
  2. Dry ageing (improving eating quality, food safety and usage of novel technology) Mla.com.au. 22 Aug. 2016.
  3. Sheep Central. Dry-aged mutton premiums possible as WA producer sells ewe carcases for up to $320. 24 Aug. 2016.
  4. Schneller, Chef. Dry Aged Pork? Butcherinfoblog.blogspot.de. 23. Mai 2014 (8 Sept. 2016); falstaff.de. Schweinealt & saugut: Dry Aged Pork. 25. Mai 2016.
  5. Savell, Rosenthal. Dry-aging of Beef. Beefresearch.org. 9 Apr. 2009.
  6. Anna Onopiuk et al. (2016) Influence of post-mortem muscle glycogen content on the quality of beef during aging. J Vet Res 60, 301-307, 2016; G. Wu, Stefan Clerens et al. (2014) Effect of beef ultimate pH and large structural changes with aging on meat tenderness. Meat Science, Volume 98, Issue 4, December 2014, Pages 637-645; Watanabe A et al. (1996) The effects of the ultimate pH of meat on tenderness changes during ageing. Meat Sci. 1996;42(1):67-78; Muhammad I. Khan et al. (2016) Postmortem Aging of Beef with a Special Reference to the Dry Aging. Korean J Food Sci Anim Resour. 2016; 36(2): 159–169.
  7. McGee, Harold. (2004) On Food and Cooking.