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Mehr Kunden finden und binden bei Weidefleisch-Direktvermarktung (Hörbuch Teil 9)

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Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Weidefleisch erfolgreich vermarkten

Weidefleisch bietet einzigartige Möglichkeiten der Vermarktung. Die Direktvermarktung ist für Erzeuger noch immer ein meist neues Feld mit eigenen Herausforderungen, die sich für jeden Betrieb anders gestalten. Am stärksten blüht das Geschäft, wenn Landwirt und Kunde ihr Verhältnis als Partnerschaft begreifen.

Ein Weidefleisch-Reinheitsgebot?

Sollte es ein Siegel geben, das echtes Weidefleisch markiert? So etwas würde der Verbreitung von Weidefleisch eher schaden als dienen.

Nicht ein Siegel soll entscheiden. Sondern der Geschmack. Die Behandlung, die ein Tier in seinem Leben erfährt, spiegelt sich wider in der Qualität des Fleischs. Möchte man das bestmögliche Fleisch gewinnen, muss man die Tiere bestmöglich behandeln – bis zum Tod und darüber hinaus. Dazu gehört ein Tod in seinem natürlichen Lebensraum: Ohne Stress und Transport auf der Weide, per Kugel- oder Bolzenschuss.

Es muss ein faires Verhältnis sein: Der ungeschriebene Vertrag zwischen Nutztier und Mensch. Der Mensch umsorgt das Tier und beschützt es auf seinen Weiden vor den Gewalten der Natur wie Dürren, Überschwemmungen oder Raubtieren. Dafür nutzt er nach dessen Tod sein Fleisch.

Es siegt der beste Geschmack.

Darüber hinaus sind die Sichtweisen und Alltagsbedingungen der Landwirte zu verschieden, um ein Siegel mit Sinn vergeben zu können. Was maximales Tierwohl ist und wie ein Tier bestmöglich lebt, sehen Menschen unterschiedlich.

Auch das Verständnis und die Begrifflichkeiten unterliegen Diskussionen. Aus „reiner Weidehaltung“ wird auf Nachfrage häufig „im Winter auch Kraftfutter“ und „ganzjährig im Stall, nur im Winter ein bis zwei Monate Unterstand“ entpuppt sich häufig als ein halbes Jahr in Stallhaltung (das kann plausible Gründe wie ungeeignete Böden haben, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass in Stallhaltung kein Weidefleisch entsteht).

Nötig ist Transparenz. Transparenz ist nicht Halbtransparenz; sie muss in beide Richtungen funktionieren. Der Käufer muss also seinerseits nachfragen und über mögliche Abweichungen und deren Auswirkungen Bescheid wissen.

Einfache Garantien gibt es nicht. Die oft gewünschte Sicherheit kann nur persönlicher Kontakt und dauernder Austausch bringen. Daraus wachsen gegenseitiges Vertrauen und Verständnis.

Partnersuche

Auch andere Weidefleisch-Erzeuger sind potenziell gute Partner. Denn sie benötigen die gleiche Infrastruktur, vornehmlich: Einen guten Metzger und Kühlgelegenheiten. Je nach geschäftlicher Struktur kann man gemeinsam das Fleisch verschiedener Rassen vermarkten oder, bei geringen Stückzahlen, abwechselnd schlachten und so das Angebot stabilisieren.

Dein bester Freund: Der Metzger

Schön wäre, wenn der Weg von der Weide auf den Teller allein über Landwirt und Genießer führen würde. Doch dazwischen steht zwingend ein Metzger, der sein Fach versteht und mit Leidenschaft betreibt.

Leider beherrschen immer weniger Metzger die nötigen Fähigkeiten, um ein Tier vollständig in alle wertvollen Einzelteile zu zerlegen. Die Ursache mag mangelnde Übung oder mangelndes Interesse sein.

Zur Weidefleisch-Vermarktung mit Erfolg können die üblichen Verarbeitungsschritte genügen, wie das Zuschneiden von zwei oder drei Steakvarianten, Braten und Rouladen, Gulasch und Hackfleisch.

Großes Potential liegt jedoch in der Steak-Vielfalt, Spezialitäten für Grill-Fans, Stücken wie dem Flat Iron Steak und natürlich in der Welt der Wurstwaren. Wenn ein Metzger mit Begeisterung nicht nur auf diesen Horizont schaut, sondern die Besonderheit des Weidefleischs versteht und begrüßt, bereichert er Landwirt (durch Dienstleistung und Wertschöpfung) und Abnehmer (durch Angebot und Beratung).

Ein solcher Metzger versteht auch, dass und warum Fleisch länger als eine Woche abhängen sollte (siehe Kapitel Abhängen). Die optimalen Bedingungen sind ihm bekannt und er kann sie selbst zuverlässig herstellen.

So ein Metzger ist eine seltene Spezies. Er ist häufig der Schlüssel zum erfolgreichen Weidefleisch-Geschäft.

Das Verhältnis zwischen Landwirt und Verbraucher

Landwirtschaft ist das Fundament der Zivilisation. Vor ungefähr 10.000 Jahren begannen wir mit der Arbeitsteilung: Du versorgst unseren Klan künftig mit Lebensmitteln, ich webe uns Klamotten und mein Bruder kann in der Zeit mehr über Heilmittel lernen.

Viele Berufe sind seitdem entstanden und verschwunden. Der Landwirt ist geblieben und versorgt heute nicht eine Großfamilie oder einen Klan, sondern im Jahr 2020 ungefähr 150 Menschen – Tendenz steigend.

In den meisten Fällen kennt er jedoch keinen einzigen der 150 Menschen für die er täglich in Regen, Schlamm und brennender Sonne steht. Stattdessen kommt am Saisonende ein Händler und gibt ihm einen Marktpreis für seine Ware. Den Blick richtet dieser Händler dabei mehr auf die Masse als die Güte. Der Landwirt erarbeitet ein anonymes Massenerzeugnis.

Direktvermarktung als Weg zur Unabhängigkeit

Direktvermarktung ist langfristig die einzige Hoffnung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft.

Das mag etwas drastisch formuliert sein. Doch im Wesentlichen kann ein Landwirt nur frei handeln, wenn er genau das tut: Frei handeln, statt seine Ware zum Festpreis abzugeben an Unternehmen, deren Interesse stets der Menge gilt und nie höchster Güte.

Direktvermarktung bedeutet: Der Landwirt verkauft direkt an den Verbraucher, also private Haushalte, Restaurants, vielleicht auch Restaurantketten. Er kennt seine Kunden und sie kennen ihn. Die Basis ist Vertrauen. Vertrauen fördert Sorgfalt und Respekt.

Direktvermarktung kostet mehr Geld als der Weg über den Großhandel, deswegen eignet sich dieses Modell nur für Produkte mit höherem Preis. Also keine billige Massenware, sondern zum Beispiel Weidefleisch. Genau dieses Weidefleisch von diesen Tieren von jenen Weiden von genau dem Landwirt. Ein Produkt mit Persönlichkeit und Besonderheit.

Ein Erlebnis anstelle des Produkts verkaufen

Den größten Erfolg verspricht die Direktvermarktung, wenn man den Blick nicht allein auf das Produkt richtet. Wir leben in einer sogenannten Experience Economy: Wir verkaufen nicht Produkte, sondern Erlebnisse.

Wirtschaft begann mit dem Verkauf roher Erzeugnisse wie Kartoffeln. Später kamen Produkte: Zum Beispiel Pommes Frites. Dann kamen Dienstleistungen: Fertig zubereitete Fritten vom Imbiss. Heute ist auch dieser Markt so breit besetzt, dass wir im Grunde nicht die Fritten kaufen, sondern das Erlebnis: Der gesamte Vorgang, vom Betreten des Ladens, der Begrüßung und Augenkontakt durch den Verkäufer, die Musik und Gerüche, das Mobiliar und so fort: Das sind die Dinge, die wir kaufen.

Auch als direktvermarktender Landwirt kann und sollte man diese Aspekte des Verkaufs berücksichtigen. Dafür benötigt man keinen eigenen Laden, es genügt die Betrachtung des Kaufs aus Sicht das Kunden: Wie begrüße ich einen Interessenten, wie spreche ich mit ihm? Welcher Tonfall herrscht bei der Begrüßung am Telefon? Der erste Eindruck zählt – berücksichtige ich das? Werden Sonderwünsche gerne erfüllt? Ist das Produkt ansehnlich verpackt, sind die Stücke sauber vakuumiert und gut lesbar beschriftet? Oder klebt Blut an jeder zweiten Tüte?

Eine Kultur schaffen

Die Stärke der Direktvermarktung liegt nicht allein im bloßen Austausch von Geld und Ware. Direktvermarktung kann Teil einer Kultur des persönlichen Bezugs sein. Wer sich die Mühe macht, Weidefleisch aus seiner Region zu finden, den Mehrpreis zahlt und die meist längere Fahrt und allgemein (vermeintlich) geringeren Komfort als im Supermarkt auf sich nimmt, wird auch das gekaufte Produkt wertschätzen. Diese Art des Einkaufens ist eine Investition unter anderem finanzieller, zeitlicher und sozialer Natur. Wann immer wir etwas investieren, steigt unsere Sorgfalt im Umgang damit. Und zwar ungefähr proportional zur Höhe der Investition. Das ist klar: Es handelt sich um nicht weniger als unsere Lebenszeit.

Und wenn uns eine Sache am Herzen liegt, teilen wir diese auch gerne. So bilden sich in Cafés kleine Gemeinschaften aus sich sonst fremden Menschen: Die Stammkunden erkennen sich gegenseitig wieder und kommen ins Gespräch. Das ist ein Gewinn für diese Menschen, jedoch auch für den Cafébetreiber. Er bringt Menschen mit der gleichen Leidenschaft zusammen und stellt sogar den Treffpunkt zur Verfügung. Die Stammgäste wiederum werden über ihr Lieblingscafé sprechen und dafür werben, indem sie das Gespräch auch aus dem Café heraustragen. So kann das Geschäft eine Bereicherung der Gemeinde, des Dorfs oder des Stadtteils werden. Das Café ist eine Art Gemeindehaus oder Clubhaus.

Ein Hofladen kann die gleiche Position einnehmen (ein Kaffeeautomat nebst Stehtisch ist dafür kein schlechter Anfang). Der Einkauf dort ist dann nicht nur ein Erlebnis, sondern ein Teil des Zusammenlebens.

Kundentreue und Mundpropaganda

Wichtiger als ständig viele neue Kunden ist die Kundentreue: Wiederkehrende, zuverlässige, begeisterte Kunden. Solche Käufer bringen sich bei der Vermarktung von selbst ein: durch Mundpropaganda. Biete ich also ein gutes Produkt, ein angenehmes Erlebnis und vielleicht sogar den Treffpunkt für Gleichgesinnte Weidefleisch-Interessenten, dann säe ich Kundentreue und daraus wachsen weitere treue Kunden.

Hofladen, Verkaufsautomat oder Hütte am Stall?

Ein Hofladen kostet Zeit und Geld. Er ist aus den oben genannten Gründen ein praktisches Werkzeug zum Erfolg, doch ein solcher Laden ist nicht zwingend nötig. Viele Landwirte und besonders jene, die nur eine Handvoll Tiere im Jahr schlachten, haben nicht das Ziel, einen solchen Laden zu betreiben.

Trotzdem gelten die übrigen Überlegungen zum Einkaufserlebnis des Kunden und zur Kundentreue. Die Gründung einer Kultur oder ein Treffpunkt sind nicht allein Privileg von Ladenbesitzern. Wer sein Fleisch nur aus einer Kühltruhe neben dem Schuppen heraus verkaufen kann, sollte die obigen Überlegungen dennoch anstellen.

Eine zusätzliche Alternative stellen Verkaufsautomaten (mit Kühlung) dar. Besonders in Verbindung mit anderen Produkten (z. B. Eier) können sich gute Möglichkeiten auch zur Zusammenarbeit mit anderen Erzeugern ergeben. An stärker befahrenen Straßen lohnt sich häufig die Anschaffung eines Kaffeeautomaten als zusätzliches Angebot. Unterbringen kann man solche Geräte bei Auftreten rechtlicher Hürden wegen des Bauwerks auch in einem Mobilheim.

Rechtliche Auflagen gelten ohnehin für den Verkauf von Produkten und besonders von Frischfleisch. Vakuumierte Ware ist zum Beispiel weniger Problematisch als etwa unverpackte Bratenstücke. Über jeweils aktuelle Auflagen sollte man sich unbedingt auf dem Laufenden halten.

Bei Verkaufsautomaten mit Kühlung gibt es zahlreiche Modelle, von denen sich viele aufgrund technischer Details nicht gut für den Verkauf bestimmter Ware eignen, zum Beispiel weil die meist nicht gleichförmigen Fleischstücke in Vakuumtüten darin hängenbleiben. Vor der hohen Investition in solch ein Gerät sollte dies unbedingt geprüft werden. Einige Modelle sind schlicht untauglich, beschlagen regelmäßig oder sind nicht gegen das Eindringen von Insekten gesichert.