Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Warum ist Artenvielfalt wichtig? Brauchen wir all diese Arten?

Ein bekanntes Gegenteil hoher Artenvielfalt ist die Monokultur: Der Anbau nur einer einzigen Nutzpflanze auf großen Flächen. Ein solches Gebilde ist anfällig. Eine einzige Krankheit genügt, um alle Pflanzen zu töten. Hohe Artenvielfalt macht ein Ökosystem hingegen robust.1

Je mehr Arten es gibt, desto weniger empfindlich ist das gesamte Leben in diesem Gebiet. Selbst wenn auf einer artenreichen Fläche eine Art ganz ausstirbt, leben dort noch viele andere Arten. Außerdem herrscht so viel Bewegung und Wettkampf zwischen den Spezies, dass verheerende Krankheiten allgemein weniger Angriffspunkte haben.

Die Artenvielfalt ist zudem der genetische Reichtum der Welt. Wie eine Schatztruhe, aus der wir alle uns bedienen können. Wir essen heute überwiegend Kulturpflanzen, die wir allesamt aus der Vielfalt der Natur gewonnen haben. Und engagierte Züchter setzen die Arbeit mit Landsorten fort, entdecken also stets neue Schätze im Genmaterial. Hohe Artenvielfalt dient unserer Ernährungsicherung und damit unserem Überleben.

Sind Weidefleisch und Weidehaltung immer gut für die Artenvielfalt?

Nicht jede Weidehaltung wirkt sich unmittelbar vorteilhaft auf die Artenvielfalt aus. Anders als in der industriellen Intensivtierhaltung, welche durch Monokulturen und hohe Schadstoffbelastungen der Artenvielfalt und Umwelt prinzipiell schadet, birgt jedoch die Weidehaltung großes Potenzial zum Natur- und Klimaschutz. Durch sorgfältiges Weidemanagement können Land- und Forstwirte die Besatzdichten zugunsten eines blühenden Ökosystems steuern. Erhöhte Artenvielfalt durch Beweidung kann dann ein zusätzlicher ökologischer Gewinn neben dem ökonomischen Nutzen sein.

Klimabilanz der Weidehaltung

Drei Prozent des von Menschen verursachten Treibhausgasausstoßes geht auf das Konto der Viehhaltung. Zwar ist das erheblich weniger als der Transportsektor verursacht;2 dennoch ist es ein vermeidbarer Beitrag zum Klimawandel. Woher genau stammen die Gase? Einen kleinen Teil stoßen die Tiere selbst aus in Form von Methan; der Großteil entsteht jedoch beim Anbau ihres Futters: Anbau, Dünger und Transport von Getreide belasten die Klimabilanz der Rinderzucht.

Nicht Viehhaltung als solche erwärmt den Planeten, sondern die industrielle Methode der Intensivtierhaltung mit Getreidefütterung. Was ändert die Weidehaltung daran? Sie kommt ohne Getreide als Futtermittel aus. So entfallen die entsprechenden Treibhausgase bei dessen Produktion.

Rinder in Weidehaltung treiben den Klimawandel nicht voran. Im Gegenteil: Sie wirken der globalen Erwärmung entgegen. Wie das geht? Durch den Abbau von Kohlenstoffdioxid aus der Luft. In dieser Form nennt man das Kohlenstoffsequestration:

Der meiste Kohlenstoff gelangt durch Pflanzen in den Boden. Sie bilden ihre Blatt- und Wurzelmasse aus dem Kohlenstoffdioxid der Luft. Je mehr Gras wächst, desto mehr Kohlenstoff bindet es im Boden. Grasfresser unterstützen diesen Zyklus des Graswachstums und erhöhen damit die Menge des gebundenen Kohlenstoffs.3

Der dauerhaft gesunde Bewuchs stabilisiert den Boden und sorgt dafür, dass der Kohlenstoff im Boden bleibt.

Auf der Fläche von eineinhalb Fußballfeldern speichert das durch Beweidung stimulierte Graswachstum jährlich so viel Kohlenstoff, wie ein 6-Liter-Auto auf 19.000 km in die Luft bläst.4

Gesunde Böden enthalten metanotrophe Bakterien, welche Methan zersetzen. Abhängig von Tierbesatz und Bodentyp kann das mehr sein, als die darauf weidenden Tiere produzieren.5

Nachhaltiges Weidemanagement hat das Potenzial, mehr Kohlenstoff zu speichern als jede andere landwirtschaftliche Praxis.6

Weidemanagement stellt sicher, dass diese Prozesse bestmöglich ablaufen.

Zahlen zur Klimapflege durch Weidewirtschaft

Graslandschaften bieten mehr Chancen zum Klimaschutz als Wälder. Wir sollten Grünlandumbruch vermeiden und diese Ökosysteme durch Tierbesatz pflegen. Das ermöglicht die gleichzeitige Nutzung zur Ernährung des Menschen bei positiver Klimabilanz.

Grasland speichert erheblich mehr Kohlenstoff als Wälder: Die Kohlenstoff-Vorräte in Grasland sind 40 Prozent größer als im Wald (weltweit: 588 Mrd. Tonnen Kohlenstoff auf 37,3 Mio. km² Grasland gegenüber 372 Mrd. Tonnen auf 33,3 Mio. km² Waldfläche)7

Zwölf Prozent mehr Grasland als Wald schmücken unsere Erdkugel. Das macht diesen natürlichen Lebensraum der Weidetiere zum zweitwichtigsten Ökosystem zur Speicherung von Kohlenstoff nach den Mooren und Feuchtgebieten, die ihrerseits je Quadratmeter mehr als die sechsfache Menge Kohlenstoff speichern.

Durch intensiven Ackerbau und die Entwässerung von Mooren etwa zur Nutzung in der Landwirtschaft belasten wir in Europa jedes Jahr das Klima mit 57 Mio. Tonnen Kohlenstoff. Im gleichen Zeitraum binden unsere Grünländer 85 Mio. Tonnen Kohlenstoff, eine Sättigung erreichen sie erst nach über 100 Jahren. Das verdeutlicht die Möglichkeiten des Grünlandes zum Schutz des Klimas – und mahnt zur Pflege dieser Flächen: Die Umwandlung von Grünland in Acker setzt 60 Prozent des gespeicherten Kohlenstoffs frei.

Der Mensch kann die Gräser und Kräuter des Grünlands nicht essen. Und Grünland funktioniert ohne Tierhaltung nicht. So erschließt Weidehaltung diese Flächen für die Ernährung des Menschen, pflegt zugleich das Ökosystem, erhöht die Artenvielfalt und wirkt dem Klimawandel entgegen. Die Wiedervernässung von Mooren erlaubt eine gleichzeitige Beweidung mit geeigneten Tieren wie Wasserbüffeln.

Die Ökobilanz in der Rindfleischerzeugung aus extensiver Ganzjahresbeweidung ergibt 0,52 kg CO2-Äquivalente für ein Kilo Rindfleisch. Diese Berechnung beschränkt sich auf die technischen Aufwendungen und liegt um ein Vielfaches niedriger als das entsprechende Ergebnis konventioneller und ökologisch wirtschaftender Betriebe.8 Soussana et al. zeigen laut Jedicke: Die Klimabilanz durch naturnahe und dem Standort angepasste Beweidung ist positiv.9

Aus Gründen des Klimaschutzes sollten wir daher Weideland erhalten und neu schaffen. Weidewirtschaft bedeutet: Weniger Fleisch, dafür höhere Güte erzeugen. Für Verbraucher heißt das: Weniger und stattdessen besseres Fleisch essen.

Gesundheit

Weidefleisch ist auf zwei Wegen gesünder als Fleisch aus Intensivtierhaltung. Erstens ist das Fleisch selbst gesünder. Zweitens wirkt Weidehaltung vorteilhaft auf die Natur und sorgt so für eine gesunde Umwelt.

Weidefleisch hat eine gesundheitlich messbar bessere Nährstoffzusammensetzung als Fleisch aus industrieller Intensivtierhaltung, denn die Weidetiere sind gesünder.10

Das bezieht sich besonders auf einen höheren Anteil an Omega-3-Fettsäuren sowie konjugierter Linolsäure (CLA) durch den Verzicht auf Getreide als Futtermittel.11

Weidefleisch enthält außerdem sieben mal mehr Vitamin A (Beta-Karotin), zweieinhalb mal mehr Vitamin E und mehr Antioxidantien als das Industrieprodukt.12

Da Rinder auf der Weide ein relativ sauberes (hygienisches) Leben führen, statt ihr Leben in ihren Fäkalien stehend zu verbringen, ist auch die Keimbelastung ihres Fleischs geringer.13

Industrielle Schlachthäuser verarbeiten unter Zeitdruck das Fleisch von hunderten Tieren gleichzeitig: Ein ideales Netzwerk zur Verbreitung von Lebensmittelinfektionen. Schlachtet man hingegen individuell und mit Sorgfalt, ist das Risiko einer Keimverbreitung im Schlachtbetrieb minimal.

Aufgrund ihres erheblich besseren Gesundheitszustands benötigen Weiderinder nur in seltenen Ausnahmefällen Antibiotika.14

Entsprechend enthält ihr Fleisch in der Regel keine Antibiotikarückstände, auch die Gefahr antibiotikaresistenter Keime wird nicht gefördert.

Weiderinder sind gesunder Bestandteil des Ökosystems, damit sorgen sie für saubere Luft und nutzen so der menschlichen Gesundheit.

Auch von der Gesundheit der Weide als Lebensraum profitiert der Mensch, beispielsweise in Naturschutzgebieten (siehe auch Landschaftspflege).15

Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Dienstleistungen der Ökosysteme wie Hochwasserschutz, Lawinenschutz oder Wasserfilterung, welche das Menschenleben sicherer machen.16

[Weiter geht es im kommenden Beitrag.]

Fußnoten

  1. Ingrid M. Parker et al. Phylogenetic structure and host abundance drive disease pressure in communities. Nature 520, 542–544. 23 Apr. 2015.
  2. Die 2006 von der UN veröffentlichte Zahl war nicht korrekt, siehe auch Maurice E. Pitesky et al. (2009) Chapter 1 – Clearing the Air: Livestock’s Contribution to Climate Change. Advances in Agronomy Volume 103, 2009, Pages 1–40.
  3. Machmuller Mb, Et Al. Emerging land use practices rapidly increase soil organic matter. Nat Commun 30 April 2015.; Y.H. Gao, et al. (2007) Grazing Intensity Impacts on Carbon Sequestration in an Alpine Meadow on the Eastern Tibetan Plateau. Research Journal of Agriculture and Biological Sciences 3 (6): 642–47
  4. Beweidung führt an neun Graslandstandorten in Europa durchschnittlich zu einer zusätzlichen Tonne Kohlenstoff pro Hektar und Jahr im Boden; 1 t Kohlenstoff entspricht rund 2,67 t Kohlenstoffdioxid. Idel, Anita (2010) Die Kuh ist kein Klima-Killer. Metropolis-Verlag, Marburg; J.F. Soussana et al. Full accounting of the greenhouse gas (CO2, N2O, CH4) budget of nine European grassland sites. Agriculture, Ecosystems and Environment 121 (2007) 121–134. 18 Jan 2007; Umrechnung in gefahrene Kilometer: naturefund.de.
  5. Savory Institute. (2015) An Exploration of Metahne and Properly Managed Livestock through Holistic Management.
  6. Idel, Anita (2010) Die Kuh ist kein Klima-Killer. Metropolis-Verlag, Marburg.; Neely, Bunning, Wilkes (2009) Review of evidence on drylands pastoral systems and climate change: Implications and opportunities for mitigation and adaptation. FAO, Rome, 2009.
  7. E. Jedicke, Klimawirksamkeit von Weidelandschaften in Naturnahe Beweidung und NATURA 2000: Ganzjahresbeweidung im Management von Lebensraumtypen und Arten im europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000.
  8. 8,2 bis 36,4 kg beziehungsweise 8,2 bis 22,3 kg. Siehe E. Jedicke
  9. J.F. Soussana et al. (2007) Full accounting of the greenhouse gas (CO2, N2O, CH4) budget of nine European grassland sites. Agriculture, Ecosystems and Environment 121 (2007) 121–134. 18 Jan 2007.
  10. T.h. Adams. Impact of grass/forage feeding versus grain finishing on beef nutrients and sensory quality: The U.S. experience. Meat Science. Meat Science Volume 96, Issue 1, January 2014, Pages 535–540.
  11. Nürnberg et al. Fleisch – wertvoller durch Anreicherung mit n-3-Fettsäuren. Ernährungs-Umschau 51 (2004) Heft 10; Kim Jh, Et Al. Conjugated Linoleic Acid: Potential Health Benefits as a Functional Food Ingredient. Annu Rev Food Sci Technol. 2016;7:221-44.; Cynthia A Daley et al. A review of fatty acid profiles and antioxidant content in grass-fed and grain-fed beef. Nutrition Journal. 10 Mar. 2010; Kazunori Koba. Health benefits of conjugated linoleic acid (CLA). Obesity Research & Clinical Practice 8(6), November 2013; N. Aldai et al. (2011) Length of concentrate finishing affects the fatty acid composition of grass-fed and genetically lean beef: an emphasis on trans-18:1 and conjugated linoleic acid profiles. animal, Volume 5, Issue 10 October 2011, pp. 1643-1652.
  12. Cynthia A Daley et al. A review of fatty acid profiles and antioxidant content in grass-fed and grain-fed beef. Nutrition Journal. Nutritionj.biomedcentral.com. 10 Mar. 2010.
  13. Callaway Tr , Et Al. Diet, Escherichia coli O157:H7, and cattle: a review after 10 years. Curr Issues Mol Biol. 2009;11(2):67-79.; Reprints. Prevalence and Concentration of Campylobacter in Rumen Contents and Feces in Pasture and Feedlot-Fed Cattle. Abstract. Online.liebertpub.com. Web. 18 Aug. 2016.; Department of Health: A study of the foodborne pathogens: Campylobacter, Listeria and Yersinia, in faeces from slaughter-age cattle and sheep in Australia. Health.gov.au. Commonwealth Department of Health and Ageing, 30 Jun. 2003.
  14. Department of Health: A study of the foodborne pathogens: Campylobacter, Listeria and Yersinia, in faeces from slaughter-age cattle and sheep in Australia. Health.gov.au. Commonwealth Department of Health and Ageing, 30 Jun. 2003; Understanding Use of Antibiotic and Hormonal Substances in Beef.;n.d.
  15. van der Wal, R., A. Bonn, D. Monteith, M. Reed, K. Blackstock, N. Hanley, D. Thompson, M. Evans, I. Alonso, and N. Beharry-Borg. 2016. UK National Ecosystem Assessment. Chapter 4: Mountains, Moorlands and Heaths. Accessed August 17.; Scott L. Collins, Alan K. Knapp, John M. Briggs, John M. Blair, Ernest M. Steinauer. 1998. Modulation of Diversity by Grazing and Mowing in Native Tallgrass Prairie. SCIENCE 280 (May): 745–47.
  16. Dr. Rer. Nat. Carsten Neßhöver. TEEB – Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ. Ufz.de. n.d. Web. 19 Aug. 2016.; Internetseite des Bundesumweltministeriums – Bmub. TEEB. Bmub.bund.de. Web. 19 Aug. 2016.; N.a. Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft Bfn.de. 27 Feb. 2013.