Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.
Umwelt und Klima
Afrikas Serengeti, die nordamerikanische Prärie, die Steppen der Ukraine und Mongolei: sie gehören heute zu den weltweit ertragreichsten Böden. Entstehen konnten diese artenreichen Lebensräume nur durch Co-Evolution von Weidetieren mit Gräsern.
Rinder sind als Wiederkäuer natürlicher und wesentlicher Teil des Ökosystems Grasland. Sie fördern den Wachstumszyklus der Gräser und die biologische Vielfalt. Die Landschaftspflege durch Weidetiere führt zu gesünderen Böden mit besserer Wasserspeicherfähigkeit, höherer Artenvielfalt der Gräser und Kräuter und zu besserem Klima.1
Dadurch wird der Lebensraum auch für mehr Insektenarten attraktiver, welche ihrerseits mehr Vogelspezies anziehen.2
Richtiges Weidemanagement beachtet alle wesentlichen Merkmale des natürlichen Wiederkäuerverhaltens. Joel Salatin fasst diese zusammen als Bewegung, Gruppenbildung und Grasen („mobbing, moving and mowing“).3 Essenziell für den ökologischen Nutzen der Rinder ist: Die Tiere bewegen sich stets und es kommt nicht zur Überweidung. Es genügt also nicht, die Tiere einfach auf eine Wiese zu sperren.4
Der Ökologe Allan Savory demonstrierte in mehreren Projekten: Geplante Rinderhaltung kann die Desertifikation (Wüstenbildung) umkehren.5 Teile seiner Ergebnisse sind umstritten und die aktuelle Studienlage zeigt: das Konzept funktioniert nicht immer überall auf der Welt. Dem gegenüber stehen unzählige positive Ergebnisse und Studien, welche die Wirksamkeit dieser Herangehensweise bestätigen.6
Natürlich eignet sich nicht jede Region gleichermaßen für die Rinderhaltung und unterschiedliche Sorgfalt der Anwender bedingt abweichende Ergebnisse.
Der häufige Vorwurf, Rinderhaltung führe zur Produktion großer Mengen Treibhausgase und treibe dadurch den Klimawandel voran, trifft nur auf die industrielle Intensivtierhaltung zu. Bei sorgfältigem Weidemanagement hingegen helfen Rinder, unterm Strich Kohlenstoffdioxid zu binden.7 Extensive Weidehaltung und nachhaltiges Weidemanagement haben das Potenzial, mehr Kohlenstoff zu speichern als jedes andere landwirtschaftliche Verfahren.8
Das funktioniert mittels Kohlenstoffsequestrierung durch die Gräser im Boden (Details dazu im Abschnitt Klimabilanz der Weidehaltung). Die Rinder stimulieren das Graswachstum, das Gras bindet durch das verbesserte Wachstum mehr Kohlenstoff und speichert ihn im Boden als Basis des Humus. Gesunde Böden zersetzen teils mehr Methan, als die darauf weidenden Rinder produzieren.9
Distickstoffmonoxid (Lachgas), ein vielfach klimawirksameres Gas als CO2, fällt für Weidefleisch nicht an; wohl aber für Fleisch aus Intensivtierhaltung, nämlich durch die Düngung beim Erzeugen des Futtergetreides.10
Auch der Wasserverbrauch der Fleischproduktion steht oft in der Kritik. Doch letztlich gibt es keinen Verbrauch, denn das Wasser verschwindet nicht, sondern der größte Teil landet wieder im lokalen Ökosystem und somit im natürlichen Stoffkreislauf. Auch führen die häufig verwendeten Maßeinheiten in die Irre: der Wasserbedarf je Kilogramm Nahrung ist beispielsweise nicht von Bedeutung. Errechnet man hingegen den Wasserbedarf je Kalorie – denn Menschen benötigen Energie – ergibt sich ein anderes Bild: Hirse liefert lediglich 0,756 kcal/l, Ziegenfleisch dagegen 1,135 kcal/l.11
Das sind Zahlenspiele und die Quellen und zugrundeliegenden Annahmen sind äußerst fragwürdig, zumal gilt: Das Wasser wird nicht verbraucht, sondern bleibt im Stoffkreislauf. (Zudem ist der Wasserbedarf von Weiderindern um ein Vielfaches niedriger als im industriellen System. Denn statt bewässerungsintensivem Getreide fressen sie nur Gras und Kräuter und ihre Ausscheidungen verteilen sich direkt auf der Wiese und wieder im Kreislauf.)
Ein wesentliches Problem der industriellen Intensivtierhaltung bereitet hingegen die Sammlung der Abwässer der Stallanlagen aus Fäkalien und Urin in sogenannten Lagunen. In dieser hohen Konzentration sind sie ein Umweltrisiko und können nicht direkt in den Stoffkreislauf zurückgegeben werden.
Da Rinder auf der Weide durch Gräser und Kräuter mit allen nötigen Nährstoffen versorgt sind, entfällt eine zusätzliche Futterproduktion mit all ihren Folgen. Das beinhaltet das Roden von Regenwaldflächen zum Anbau von Soja und anderen Eiweißquellen zur internationalen Verwendung als Tierfutter. Futter für die Intensivtierhaltung, häufig Soja, Mais und andere Getreide, wächst unter hohem Düngemitteleinsatz, welcher unsere Gewässer belastet und sogenannte Dead Zones, tote Bereiche in Gewässern verursacht.12
Weiderinder verursachen durch ihr natürliches Futter keine Düngemittelbelastung. Sie können auch auf sonst nicht für die Erzeugung von Lebensmitteln nutzbaren Flächen weiden, wie z. B. Magerrasenwiesen. In diesen Fällen sind sie eine intelligente Nutzung natürlicher Ressourcen zur Ernährung und zugleich zum Erhalt des Ökosystems.
Aufgrund besserer Gesundheit benötigen Weiderinder Antibiotika nur in Ausnahmefällen.13 Die beträchtliche Wasserbelastung durch Antibiotikarückstände entfällt entsprechend.
Artenvielfalt durch Beweidung
Tierhaltung auf Weiden und in Wäldern erhöht die Artenvielfalt und stabilisiert dadurch unsere Ökosysteme und Lebens- und Ernährungsgrundlage.
Große Weidetiere wie Rinder und Pferde schaffen in Hutewäldern bzw. in der Waldweide einzigartige Lebensräume und Nischen für andere Arten. Schmetterlingsarten wie der Zipfelfalter und Heckenwollafter haben hohe Ansprüche an ihre Umgebung. Arten wie sie benötigen zur Ablage ihrer Eier geschnittene oder von Großtieren verbissene starkstämmige, tiefwüchsige Schlehenbüsche.
Die großen Weidetiere verursachen positive Verwüstung (Devastierung). Durch Verbiss und Vertritt eröffnen Sie winzige Risse im Ökosystem, die anderen Arten neue Lebensräume bieten. Beweiden sie Ufer und Röhrichte, erwärmt sich durch den stärkeren Lichteinfall das Wasser zur Laichzeit im Frühjahr stärker, was für die Laich- und Larvenentwicklung von Vorteil ist. Durch das Zurückdrängen des Schilfes kann Lebensraum für die Sumpfschrecke entstehen. Kürzere Süß- und Sauergräser im Uferbereich verbessern die Lebensbedingungen von Wechselkröten.14
Dadurch gewinnen die Bestände von Grünfrosch und Laubfrosch, Gelb- und Rotbauchunke, Kreuzkröte, Moorfrosch und Kammmolch. Selbst der Viehtritt hilft den Amphibien: Er bildet Kleinstgewässer, ein Rückzugsraum für Frosch und Co. Auch die Huftierpfade bilden einen besonderen Lebensraum für Laufkäfer und Stechimmen.
Weidetiere transportieren in ihrem Fell Pflanzensamen, Früchte und Sporen, sogar Reptilien, Käfer, Wanzen, Spinnen und Schnecken über weite Strecken und helfen so bei deren Verbreitung. Je nach Region und Jahreszeit haften im Fell eines Schafes bis zu 8.500 Samen von 57 Arten, können dort 100 Tage verbleiben und werden so über hunderte Kilometer transportiert.15
Ihr Kot bietet Lebensraum für zahlreiche Dungkäfer, die ihrerseits Futtergrundlage für bedrohte Vogelarten wie die Blauracke sind. Einige Fledermausarten wie die Große Hufeisennase sind auf solche Käfer angewiesen, die vom Dung der großen Pflanzenfresser leben. Diese Tiere leiden direkt und indirekt durch den Einsatz von Parasitenbehandlungsmitteln bei Rindern, da der Kot von behandelten Tieren kaum durch entsprechende Käfer besiedelt wird und besonders junge Fledermäuse durch die Medikamente bedroht sind, die sie mit der Nahrung aufnehmen.
Auch viele Vogelarten erscheinen in den neu entstandenen Weidelandschaften: Wachtelkönig, Kiebitz, Flussregenpfeifer, Grauammer, Heidelerche, Dorn- und Sperbergrasmücke, Braun- und Schwarzkehlchen, Raubwürger, Rebhuhn und Wachtel. Diese zeigen sonst großräumig einen dramatischen Rückgang.
Warum ist Artenvielfalt wichtig? Brauchen wir all diese Arten?
Ein bekanntes Gegenteil hoher Artenvielfalt ist die Monokultur: Der Anbau nur einer einzigen Nutzpflanze auf großen Flächen. Ein solches Gebilde ist anfällig. Eine einzige Krankheit genügt, um alle Pflanzen zu töten. Hohe Artenvielfalt macht ein Ökosystem hingegen robust.16
Je mehr Arten es gibt, desto weniger empfindlich ist das gesamte Leben in diesem Gebiet. Selbst wenn auf einer artenreichen Fläche eine Art ganz ausstirbt, leben dort noch viele andere Arten. Außerdem herrscht so viel Bewegung und Wettkampf zwischen den Spezies, dass verheerende Krankheiten allgemein weniger Angriffspunkte haben.
Die Artenvielfalt ist zudem der genetische Reichtum der Welt. Wie eine Schatztruhe, aus der wir alle uns bedienen können. Wir essen heute überwiegend Kulturpflanzen, die wir allesamt aus der Vielfalt der Natur gewonnen haben. Und engagierte Züchter setzen die Arbeit mit Landsorten fort, entdecken also stets neue Schätze im Genmaterial. Hohe Artenvielfalt dient unserer Ernährungsicherung und damit unserem Überleben.
Sind Weidefleisch und Weidehaltung immer gut für die Artenvielfalt?
Nicht jede Weidehaltung wirkt sich unmittelbar vorteilhaft auf die Artenvielfalt aus. Anders als in der industriellen Intensivtierhaltung, welche durch Monokulturen und hohe Schadstoffbelastungen der Artenvielfalt und Umwelt prinzipiell schadet, birgt jedoch die Weidehaltung großes Potenzial zum Natur- und Klimaschutz. Durch sorgfältiges Weidemanagement können Land- und Forstwirte die Besatzdichten zugunsten eines blühenden Ökosystems steuern. Erhöhte Artenvielfalt durch Beweidung kann dann ein zusätzlicher ökologischer Gewinn neben dem ökonomischen Nutzen sein.
Klimabilanz der Weidehaltung
Drei Prozent des von Menschen verursachten Treibhausgasausstoßes geht auf das Konto der Viehhaltung. Zwar ist das erheblich weniger als der Transportsektor verursacht;17 dennoch ist es ein vermeidbarer Beitrag zum Klimawandel. Woher genau stammen die Gase? Einen kleinen Teil stoßen die Tiere selbst aus in Form von Methan; der Großteil entsteht jedoch beim Anbau ihres Futters: Anbau, Dünger und Transport von Getreide belasten die Klimabilanz der Rinderzucht.
Nicht Viehhaltung als solche erwärmt den Planeten, sondern die industrielle Methode der Intensivtierhaltung mit Getreidefütterung. Was ändert die Weidehaltung daran? Sie kommt ohne Getreide als Futtermittel aus. So entfallen die entsprechenden Treibhausgase bei dessen Produktion.
Rinder in Weidehaltung treiben den Klimawandel nicht voran. Im Gegenteil: Sie wirken der globalen Erwärmung entgegen. Wie das geht? Durch den Abbau von Kohlenstoffdioxid aus der Luft. In dieser Form nennt man das Kohlenstoffsequestration:
Der meiste Kohlenstoff gelangt durch Pflanzen in den Boden. Sie bilden ihre Blatt- und Wurzelmasse aus dem Kohlenstoffdioxid der Luft. Je mehr Gras wächst, desto mehr Kohlenstoff bindet es im Boden. Grasfresser unterstützen diesen Zyklus des Graswachstums und erhöhen damit die Menge des gebundenen Kohlenstoffs.18 Der dauerhaft gesunde Bewuchs stabilisiert den Boden und sorgt dafür, dass der Kohlenstoff im Boden bleibt.
Auf der Fläche von eineinhalb Fußballfeldern speichert das durch Beweidung stimulierte Graswachstum jährlich so viel Kohlenstoff, wie ein 6-Liter-Auto auf 19.000 km in die Luft bläst.19
Gesunde Böden enthalten metanotrophe Bakterien, welche Methan zersetzen. Abhängig von Tierbesatz und Bodentyp kann das mehr sein, als die darauf weidenden Tiere produzieren.20
Nachhaltiges Weidemanagement hat das Potenzial, mehr Kohlenstoff zu speichern als jede andere landwirtschaftliche Praxis.21
Weidemanagement stellt sicher, dass diese Prozesse bestmöglich ablaufen.
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Fußnoten
- Salatin, Joel. 2016. Cows, Carbon and Climate | Joel Salatin | TEDxCharlottesville. Youtube.; Weber, K. T. Effect of grazing on soil-water content in semiarid rangelands of southeast Idaho. ResearchGate. 1 May 2011.; Collins, Scott L. Modulation of Diversity by Grazing and Mowing in Native Tallgrass Prairie. Science. Science.sciencemag.org. American Association for the Advancement of Science, 1 May 1998.; Bullock, James M., Bridget A. Emmett, Richard F. Pywell, Ben Woodcock, Matthew S. Heard, Claire Carvell, and Richard J. &. Others Pakeman. 2011. Semi-Natural Grasslands [chapter 6]. In UK National Ecosystem Assessment. Understanding Nature’s Value to Society. Technical Report, 161–96. Cambridge: UNEP-WCMC.
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- YouTube. Can real food from real farms lead to real health? YouTube. 12 Jun. 2012.
- Weber, Keith T. Desertification and livestock grazing: The roles of sedentarization, mobility and rest. Pastoralism: Research, Policy and Practice. 20 Oct. 2011.
- Grasslands of the World. Savory. Savory.global. Web. 26 Aug. 2016.
- Pastoralismus, also die Landnutzung durch extensive Weidewirtschaft könnte das Ende der grünen Sahara verzögert haben. Mit ihrer Studie entkräften Brierley, Manning und Maslin das Dogma der Tierhaltung als grundsätzliche Ursache der Desertifikation in Afrika. Die Untersuchung enthält zahlreiche Verweise auf Quellen, welche diese These untermauern. Damit bestätigen die Autoren den Wert und Nutzen der Weidehaltung zum Schutz des Klimas und der Bodenfruchtbarkeit. Siehe: Brierley, Manning, Maslin (2018) Pastoralism may have delayed the end of the green Sahara. Nature Communications volume 9, Article number: 4018 (2018).
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- Die 2006 von der UN veröffentlichte Zahl war nicht korrekt, siehe auch Maurice E. Pitesky et al. (2009) Chapter 1 – Clearing the Air: Livestock’s Contribution to Climate Change. Advances in Agronomy Volume 103, 2009, Pages 1–40.
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- Beweidung führt an neun Graslandstandorten in Europa durchschnittlich zu einer zusätzlichen Tonne Kohlenstoff pro Hektar und Jahr im Boden; 1 t Kohlenstoff entspricht rund 2,67 t Kohlenstoffdioxid. Idel, Anita (2010) Die Kuh ist kein Klima-Killer. Metropolis-Verlag, Marburg; J.F. Soussana et al. Full accounting of the greenhouse gas (CO2, N2O, CH4) budget of nine European grassland sites. Agriculture, Ecosystems and Environment 121 (2007) 121–134. 18 Jan 2007; Umrechnung in gefahrene Kilometer: naturefund.de.
- Savory Institute. (2015) An Exploration of Metahne and Properly Managed Livestock through Holistic Management.
- Idel, Anita (2010) Die Kuh ist kein Klima-Killer. Metropolis-Verlag, Marburg.; Neely, Bunning, Wilkes (2009) Review of evidence on drylands pastoral systems and climate change: Implications and opportunities for mitigation and adaptation. FAO, Rome, 2009.