Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Optimales Weidemanagement …

… fördert die Humusbildung, erhöht dadurch die Bodenfruchtbarkeit und speichert Kohlenstoffdioxid (CO2). Es kann mehr klimawirksame Gase speichern, als die darauf weidenden Tiere verursachen. Damit ist es ein kritischer Aspekt zur Entschärfung des Klimawandels, zur Ernährungssicherheit und zur sozialen Gerechtigkeit.

… erhöht die Artenvielfalt und Biodiversität im Grasland und pflegt und stabilisiert das Ökosystem.

… löst viele Probleme der industriellen Tierhaltung, darunter die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Umweltverschmutzung, Hygiene und Tierwohl.

… ermöglicht zugleich wirtschaftlich praktikable Tierhaltung und ein nachhaltiges Auskommen des Landwirtes. Es vereint so nachhaltige Ökologie mit nachhaltiger Ökonomie.

Was ist Weiderotation?

Weiderotation (Alternative Bezeichnungen: Rotational grazing, Managed intensive rotational grazing (MIRG), cell grazing, mob grazing, holistic managed planned grazing) ist eine Methode des Weidemanagements. Man steuert die Herde regelmäßig und systematisch auf frische und erholte Weideflächen, um Qualität und Quantität deren Wachstums zu maximieren.

Dabei imitiert der Landwirt mit den Tieren bestmöglich deren natürliches Verhalten in freier Natur: Herdenbildung, Bewegung (beides historisch auf der Flucht vor Raubtieren) und Grasen. Das Resultat nutzt Ökologie und Ökonomie gleichermaßen. Weiderotation bietet viele Potenziale, darunter:

  • Optimale Tiergesundheit durch Bewegung und frische Luft sowie geringere Schädlingsbelastung.
  • Erhöhte Futterproduktion (und -qualität) auf gleicher Fläche durch optimale Nutzung der Wachstumszyklen von Gräsern und Kräutern.
  • Verbesserung der Artenvielfalt und Bodengesundheit durch natürliche Pflege des Ökosystems.
  • Erhöhte Bindung von Klimawirksamen Gasen wie Kohlenstoffdioxid.
  • Höheres Einkommen bei Milchviehherden.1

Warum Weiderotation?

Weiderotation kann Über- und Unterweidung und somit ökologisch Schäden verhindern und das Potenzial des Ökosystems voll nutzen. Das ist essenziell für die nachhaltige Nutzung von Weideland. Der Landwirt arbeitet dadurch zugleich ökonomisch und ökologisch vorteilhaft.

Wie funktioniert Weiderotation in der Praxis?

Der Landwirt unterteilt sein Weideland in mehrere kleinere Abschnitte und trennt diese durch Zäune. Dann treibt er die Herde regelmäßig auf neue Abschnitte um. Nämlich genau dann, wenn eine Fläche abgegrast, jedoch bevor sie überweidet ist.

Ziel ist, die Herde erst dann einen Abschnitt erneut beweiden zu lassen, wenn dieser genug Zeit zur maximalen Regeneration hatte, jedoch bevor sein Wachstum stagniert. Dieser Zeitraum hängt ab von klimatischen Bedingungen und der Bodenqualität: In gemäßigten Klimazonen oft um fünf bis sechs Wochen nach einer zwei- bis viertägigen Weidephase. Zentral ist die ausreichende Regeneration der Weidefläche.

Hier ist die Achtsamkeit des erfahrenen Landwirtes gefragt. Jede Region, jedes Mikroklima, jeder Bewuchs – und jede Herdengröße und Rasse – muss er individuell beachten. Ohne ganzheitliche Betrachtung des gesamten Ökosystems, einschließlich der Bodenorganismen, Pflanzen und Tiere, kann Weiderotation nicht optimal funktionieren.

Durch die häufige Bewegung verteilen sich Dung und Urin gleichmäßig als Dünger auf den Weideflächen. Das fördert die Humusbildung und erhöht die Produktivität.2 Da die Tiere sich stets von ihren Ausscheidungen wegbewegen, verbessert sich die Hygiene und Schädlinge wie Parasiten finden nur wenig Lebensraum.

Symbiotische Landwirtschaft kann diese Vorteile mehren und die Produktivität der Weide erhöhen.

Was ist Symbiotische Landwirtschaft?

Symbiotische Landwirtschaft in der Tierhaltung meint das Zusammenleben verschiedener Tierarten zum gegenseitigen Nutzen. Es ist die ursprüngliche Art des tierischen Zusammenlebens, keine moderne Erfindung. In der Weidehaltung kann Symbiotische Landwirtschaft viele Probleme beseitigen und die Produktivität der Fläche erhöhen. Denn Vielfalt ist eines der wichtigsten Merkmale gesunder natürlicher Systeme.

Ein Beispiel ist die Haltung von Schweinen zusammen mit Hühnern: Die Hühner befreien die Schweine von Parasiten und kontrollieren den Insektenbestand; zugleich bieten die Schweine den Hühnern Schutz vor Füchsen und Mardern.3

Eine einfache Möglichkeit zur doppelten Flächennutzung: Ziegen und Rinder fressen unterschiedliche Pflanzen. So kann man eine entsprechende Fläche doppelt nutzen und die Produktivität ebenfalls steigern.

Auf der Polyface Farm im US-Bundesstaat Virginia sind Hühner fester Bestandteil der Weiderotation mit Rindern: Zwei bis drei Tage nachdem die Rinder einen Weideabschnitt verlassen haben, bewegt Familie Salatin einen mobilen Hühnerstall auf die Fläche. Denn nach genau dieser Zeit sind die Fliegenlarven im Dung der Rinder kurz vor dem Schlüpfen und die Tiere können sich daran laben. Dabei verteilen sie den Rinderkot und ihre eigenen Ausscheidungen auf der Weide und düngen und reinigen den Boden. Durch diesen Wechsel der Spezies haben auch Krankheitserreger weniger Chancen. Die Hühner kommen im kürzeren Gras besser zurecht, die Weide gewinnt weiter an Fruchtbarkeit und bei ihrem nächsten Besuch finden die Rinder umso saftigeres Gras vor.

Symbiotische Landwirtschaft orientiert sich an Vorbildern aus der Natur. Gewitzte Landwirte gehen einen Schritt weiter und denken sich neue Zusammenhänge für diese Imitation aus. Joel Salatin (Polyface Farm) berichtet von seinen Pigaerators: Wenn seine Rinder im Winter im Unterstand Heu fressen, landet ihr Dung in einem vorbereiteten Streu aus kohlenstoffhaltigem Material. Während dieser Streu schichtweise wächst, streut er Maiskörner hinein. Durch die Wärme fementiert die Einstreu. Wenn die Rinder im Frühjahr den Unterstand verlassen, bringt Salatin seine Schweine in den Unterstand. Die erfreuen sich an dem fermentierten Haufen, und durchwühlen die tiefe Einstreu nach den Maiskörnern. Dabei belüften sie das Material, welches später als Kompost auf der Weide landet.4

Probleme der Symbiotischen Landwirtschaft

In einigen Ländern ist die gemeinsame Haltung von zum Beispiel Hühnern mit Milchkühen nicht gestattet, weil das die Milchqualität durch Bakterien beeinträchtigen könne. Neben solchen gesetzlichen Hürden gibt es auch praktische Bedenken: Schweine könnten die Hühner fressen, statt sie zu beschützen. Auch das ist jedoch nicht die Regel. Gewöhnt man die Tiere aneinander, kommt es zu keinen Überfällen.5

Landschaftspflege durch Beweidung

Landschaftspflege dient dem Erhalt bestimmter Landschaftstypen und damit der Artenvielfalt und natürlicher Schutzfunktionen.

Im Naturschutz und in der Landschaftspflege gilt die Beweidung auch heute noch als wichtigste Nutzungs- und zugleich Pflegeform, um kostengünstig den Erhalt von Artenvielfalt und Landschaftsschutz zu verbinden.6

Nur durch Vielfalt gewinnt ein Ökosystem Stabilität. Grasfresser erhöhen als natürlicher Bestandteil verschiedener Ökosysteme direkt und indirekt die Artenvielfalt. Das nutzt allen: Der Umwelt, den Tieren und auch dem Menschen durch die sogenannten Ökosystemdienstleistungen:

  • Hochwasserschutz durch verbesserte Schwammwirkung von Boden und Vegetation.
  • Lawinenschutz.
  • Wasserfilterung.
  • Schutz vor Bodenerosion.
  • Förderung von Biodiversität und Erholungsfunktion.
  • Beiträge zum Klimaschutz durch CO2-Bindung.

Die Biene ist ein gutes Beispiel für den Wert blühendender Landschaften: Über ein Drittel der weltweiten Produktion pflanzlicher Lebensmittel ist abhängig von der Bestäubung durch Insekten.7 Bienen erledigen diese aufwändige Arbeit praktisch kostenlos.

Die europaweit sinkende Artenvielfalt ist also keine abstrakte Entwertung der Natur, sondern sie bedroht direkt unsere Wohlfahrt, die Wirtschaft und unsere Lebensgrundlage. Landschaftspflege wirkt dem entgegen. Ohne Weidetiere geht das nur durch den teuren Einsatz von Maschinen und manueller Arbeit.

Eine gepflegte und artenreiche Landschaft empfinden wir als schön und erholsam. Das ist Grund genug für ihren Erhalt. Und doch kann man sogar das in Zahlen ausdrücken: Eine schöne Landschaft ist das Aushängeschild ein jeder Region. So profitiert auch der Tourismus nachhaltig von Weidehaltung. Bekannte Beispiele solcher Landschaften sind die Triften der Rhön und der Schwäbischen Alb.

Wie pflegen Weidetiere die Landschaft?

»Ohne Pferd und Rind wird die Eiche nicht überleben.«8

Weidetiere erhalten das offene Grünland, dessen Artenvielfalt sonst von Büschen und dichtem Wald verdrängt würde. An Dorn- und Stachelträger wie Wildrosen, Schlehe und Weißdorn wagen sie sich allerdings nicht heran. Diese lichtliebenden Pflanzen können sich durch das Verhalten der Weidetiere besser durchsetzen. Im Schutz der Dornen können wiederum junge Eichen heranwachsen, welche ohne die bewehrten Büsche keine Chance gegen Hufe und Verbiss der Weidetiere hätten. Wenn eine Eiche ihre empfindliche Jugendphase überstanden hat, überschattet und verdrängt sie die zuvor schützenden Büsche in der Pflanzenfolge und bietet ihrerseits wieder neue Nischen und Lebensraum für noch größere Artenvielfalt.

So gewinnen Frösche und Kröten: Durch Beweidung von Ufern und Röhrichten erwärmt sich das Wasser zur Laichzeit im Frühjahr stärker, was für die Laich- und Larvenentwicklung von Vorteil ist. Süß- und Sauergräser werden bei ausreichendem Weidedruck im Uferbereich kurz gefressen, so dass auch die Wechselkröte, die in dieser Hinsicht anspruchsvollste Art, geeignete Bedingungen findet.9

Weidetiere helfen bei der Verbreitung anderer Tier- und Pflanzenarten teils über hunderte Kilometer. Die Tritte der Weidetiere öffnen Lücken im Boden und damit neue Lebensräume (sog. Devastierung). Viele dieser Aspekte finden sich im Kapitel Artenvielfalt durch Beweidung wieder, was die Vielfalt dieser Verknüpfungen betont.

Ihr Kot bietet Lebensraum für zahlreiche Dungkäfer, die ihrerseits Futtergrundlage für bedrohte Vogelarten wie die Blauracke sind.10

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Fußnoten

  1. Elsäßer, Jilg, Over (2007) *Projekt „Weidemilch“: Die ersten Ergebnisse.* Top Agrar 4/2007.
  2. W.R. Teague et al. (2011) *Grazing management impacts on vegetation, soil biota and soil chemical, physical and hydrological properties in tall grass prairie.* Agriculture, Ecosystems & Environment. Volume 141, Issues 3–4, May 2011, Pages 310–322.
  3. Siehe die Beschreibung von Karl Ludwig Schweisfurth in Oya Medien Eg (2014) Da lachen selbst die Hühner. Oya-online.de.
  4. Joel Salatin (2010) Polyface Farm – Pigaerator Pork – Part 2. Youtube.com.
  5. Hr-fernsehen (31 May 2017) Symbiotische Landwirtschaft. alles wissen, ARD Mediathek.
  6. Deutscher Verband für Landschaftspflege. Beweidung. Lpv.de. 25 Nov. 2013.
  7. Klein et al. (2007) Importance of pollinators in changing landscapes for world crops. Proceedings of the Royal Society B (Biological Science) 274: 303-313.
  8. Vera, F.W.M. (1999): Ohne Pferd und Rind wird die Eiche nicht überleben. In: Gerken, B. & M. Görner (Hrsg.): Europäische Landschaftsentwicklung mit großen Weidetieren – Geschichte, Modelle und Perspektiven. Natur- und Kulturlandschaft (Höxter/Jena) 3: 404-424.
  9. M. Bunzel-Drüke et al. (2008) „Wilde Weiden“ – Praxisleitfaden für Ganzjahresbeweidung in Naturschutz und Landschaftsentwicklung. Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e. V. (ABU), Bad Sassendorf-Lohne.
  10. Jedicke, Eckhard (2015) „Lebender Biotopverbund“ in Weidelandschaften. Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (8/9), 2015, 257-262, ISSN 0940-6808