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So pflegt Weidefleisch das Grasland (Hörbuch Teil 2)

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Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Wie funktioniert Weidefleisch?

Beginnen wir mit einer Definition des Begriffs Weidefleisch. Wenigstens halbwegs. Schon dabei kommen wir von Hölzchen auf Stöckchen. Oder eher auf Grashalme, also die Weide: Der Grundlage allen Weidefleischs.

Wie ist Weidefleisch definiert?

Landwirte sind mit lokal unterschiedlichen Voraussetzungen und Herausforderungen konfrontiert. Sie haben unterschiedliche Wissensstände und Ansichten über Tiere und behandeln sie daher unterschiedlich. Eine pauschale Definition für Weidefleisch führt daher nicht ans Ziel. Der Verbraucher muss entscheiden, was er für wichtig und richtig hält und was er unterstützt.

Aus diesen Gründen stellt Weidefleisch.org keine Zertifizierung und kein Regelwerk zur Verfügung. Stattdessen finden Sie in diesem Buch alle nötigen, fundierten Informationen über das positive Potenzial der Weidehaltung, über funktionierende Systeme und über die Wirkungen aller Einflüsse. Kann man ohne solche harten Regeln eine Definition finden?

Wir wissen um die Möglichkeiten der Weidehaltung. Für mich persönlich ist das Minimum ganzjährige Weidehaltung im Freien und ausschließlich Gras- und Heufütterung. Kein Getreide, keine Silage oder vergorenen Futtermittel. Doch jeder muss seine Prioritäten selbst setzen. Weidefleisch.org möchte Sie motivieren, eine eigene, informierte Entscheidung zu treffen.

Nicht jeder Landwirt kann alle Kriterien vollständig erfüllen. Viele möchten es und arbeiten darauf hin. Genau diese Menschen heiße ich Willkommen und ich möchte sie mit weidefleisch.org unterstützen und ermutigen. Mein Ziel ist, die Umwelt in einem besseren Zustand zu hinterlassen, als ich sie vorfinde: Ein ganzheitlich blühendes Ökosystem für Flora und Fauna.

Wie viel Weide ist genug?

Die Weidefleisch-Vorteile hängen direkt ab von allen Details der Rinderhaltung. Jede Abweichung von reiner Weidehaltung wirkt sich negativ auf diese Aspekte aus. Es gibt kein definierbares Minimum, das bei geringstmöglichem Aufwand alle Vorteile bietet. Stattdessen beweisen weltweit einige Landwirte, was möglich ist: Sie erschaffen und pflegen blühende Ökosysteme mit hoher Artenvielfalt und positiver Klimawirkung in respektvollem Umgang mit Tier und Natur, sind zugleich produktiv und ökonomisch lebensfähig. Ohne wirtschaftliche Nutzung ist das nur in Ausnahmefällen realistisch.

Das bedeutet auch: Keine Weidehaltung ist so gut, dass sie sich nicht noch verbessern ließe. Nach genau diesem Prozess stetiger Verbesserung sollten wir streben.

Als Menschen sollten wir nicht einfach versuchen, möglichst wenig Schaden anzurichten. Stattdessen ist der Weg vorwärts: Möglichst viele ökologische Vorteile schaffen und so das Leben für uns und kommende Generationen verbessern. Weidefleisch.org strebt nach diesem Ideal, bestärkt durch die Erfolge bestehender Betriebe.

Ziel ist, auch die besten Betriebe fortwährend zu verbessern zugunsten aller Menschen, Tiere und Pflanzen, unseres Lebensraums im Ganzen.

Was ist Weidefleisch im Optimalfall?

Im Optimalfall verbringen die Tiere jeden Tag des Jahres auf der Weide. Sie fressen ausschließlich Gras und Heu. In einigen Fällen kann ein Unterstand hilfreich oder nötig sein. Das hängt auch ab von den eingesetzten Rassen.

Im Optimalfall erleben die Tiere zur Schlachtung keinen Tiertransport, sondern werden vollkommen stress- und schmerzfrei durch den Kugelschuss auf der Weide getötet (siehe Kapitel Kugelschuss auf der Weide.)

Im Optimalfall steuert der Landwirt die Beweidung so, dass das Ökosystem als Ganzes dadurch gewinnt, es also nie zur Überweidung kommt, jedoch auch nie zur Unterweidung. Das beinhaltet auch die bestmögliche Nutzung der Wachstumszyklen zum Zweck der Kohlenstoffdioxidsequestration. Brutto sollte mehr klimawirksames Gas gebunden als erzeugt werden. 1

Im Optimalfall pflegt Weidehaltung das Ökosystem und die Artenvielfalt steigt.

Im Optimalfall wird das Fleisch mindestens zwei Wochen und je nach Stück bis zu drei Monate fachgerecht abgehangen, um die Qualität des wertvollen Produktes zu maximieren.

Im Optimalfall verdient der Landwirt damit einen guten Lohn und kann nachhaltig wirtschaften. Zugunsten seiner selbst und der gesamten Umwelt. Das gleiche gilt für den Schlachter/Metzger.

Was ist Weidefleisch nicht?

Weidefleisch ist nicht gleich Biofleisch. Hinsichtlich Tierwohl und Ökologie übertrifft Weidefleisch die Bedingungen für Biofleis ch bei Weitem. Weidefleisch wiederum kann auch ein Bio-Siegel tragen.

Weidefleisch stammt nicht von Tieren, die im Stall gelebt und Getreide (Kraftfutter, Silage) gefressen haben. Hausrinderrassen wie Angus und selbstredend Galloway oder Schottische Hochlandrinder können ganzjährig im Freien leben. Auch einige in Deutschland traditionellere Hausrinderrassen kommen mit lediglich einem Unterstand aus. Getreidefütterung ist niemals nötig. Einige Landwirte füttern Getreide in geringen Mengen als Lockmittel. Andere füttern in den letzten Lebensmonaten mehr Getreide, um den Fettgehalt im Fleisch zu erhöhen. Einige stallen zu diesem Zweck zusätzlich ein. Bei diesem Vorgehen verändern sich Nährwert und Fettsäurenzusammensetzung des Fleischs negativ. Auch die ökologische Auswirkung verschlechtert sich dann. Details dazu finden Sie in den jeweiligen Kapiteln dieses Buchs.

Weidefleisch: Ein realistischer Rahmen

Wir haben nun eine ideale Weidehaltung skizziert sowie eine Untergrenze gefunden. Innerhalb dieses Rahmens kann und muss jeder Erzeuger und Verbraucher seinen Platz finden.

Nach dieser Definition folgt die Beschreibung beginnend mit der Grundlage: dem Gras, das die Weide ausmacht.

Graswachstum: Wie entsteht die Weide?

Gras hat etwas mit dem Menschen gemein: Es wächst nicht in jedem Alter gleich schnell, sondern erlebt in seiner Jugend einen Wachstumsschub.

Gräser verwandeln mit Hilfe der Sonne durch Photosynthese das Kohlenstoffdioxid aus der Luft in Kohlenhydrate und Sauerstoff. Die Kohlenhydrate nutzen sie entweder für das Wachstum ihrer Blätter oder sie speichern die Energie in ihren Wurzeln. Je größer die Blätter, desto mehr Photosynthese findet statt und desto mehr Energie gewinnen die Gräser.

Mit zunehmender Größe beschleunigt sich das Wachstum. Besonders jetzt kann das Gras zusätzlich viel Energie in den Wurzeln speichern. Das ist seine Art der Vorsorge.

Kurz vor der Blüte und Samenproduktion nimmt das Wachstum ab. Möchte man also möglichst viel Gras erzeugen, sollte man es spätestens jetzt ernten – also beweiden.

Bedienen sich nun Weidetiere an den Pflanzen, verlieren die Gräser einen großen Anteil ihrer Blätter und verfügen dann nur noch über kleine Sonnenkollektoren. Um wieder wachsen zu können, mobilisieren sie die Energie aus ihren Wurzeln und bilden schnell neue bzw. größere Blätter. Dabei stirbt ein Teil der Wurzelmasse ab, deren Kohlenstoff verbleibt als Humus im Boden. Die Gräser sind geschwächt, doch der Wachstumszyklus beginnt von vorne.

Damit das nachhaltig funktioniert, benötigt die Weide jetzt Ruhezeit. Daher ist wichtig: Die Weidetiere dürfen nicht auf der Weide bleiben. Gutes Weidemanagement stellt dies sicher und verhindert, dass die Tiere die Gräser überweiden und zerstören. (In gesunden Ökosystemen der freien Natur sorgen Raubtiere dafür, dass Herden von Wiederkäuern sich stets bewegen und keine Fläche überweiden.)

Das Gras durchläuft nun wieder eine Phase zunehmenden Wachstums, in der es auch seine Energiespeicher in den Wurzeln neu befüllen kann. So verwandelt es Zyklus für Zyklus Kohlenstoffdioxid aus der Luft in Sauerstoff für Tiere und Kohlenstoff im Boden. Die Bodenfruchtbarkeit, ja die Böden selbst wachsen kontinuierlich, unterstützt vom Dung der Tiere.

Innerhalb dieses Wachstumszyklus ändert sich die Qualität des Grases. Je größer es wird, desto mehr Nährstoffe sind in unverdaulicher Form gebunden. Für den Landwirt zählt daher nicht allein der größte Ertrag; er muss auch an den Nährwert für die Tiere denken. Ein erfahrener Landwirt lernt diese Beziehung zwischen Qualität und Ertrag erkennen und optimiert damit sein Weidemanagement. Dazu gehören auch die Wachstums- und Qualitätsschwankungen im Jahresverlauf. 2 So kann er ein blühendes Ökosystem pflegen, seine Weideerträge optimieren und zugleich die Bodenfruchtbarkeit verbessern und klimawirksame Gase binden.

Was ist Weidemanagement?

Weidemanagement ist die gezielte Bewirtschaftung und Führung der Weide. Richtig durchgeführt pflegt Weidemanagement das Ökosystem, erhöht Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit und hilft beim Speichern enormer Mengen Treibhausgase – mehr als Wälder. 3 So kann Weideland maßgeblich der globalen Erwärmung entgegenwirken. 4 Mehr zur Wirkung aufs Klima im Kapitel Umwelt und Klima.

Das geht nicht von selbst. Grasland braucht Grasfesser, denn nur das Grasen pflegt und erhält die Gräser. Ohne Weidetiere wird der Lebensraum Grasland durch Sukzession je nach Umweltbedingungen zu Busch, Wald oder Wüste. Damit büßt es sein Potenzial zur Humusbildung und CO2-Speicherung weitgehend ein.

Warum genügt es dafür nicht, Rinder einfach ganz natürlich auf eine Weide zu sperren? Weil dem Ökosystem dann ein natürliches Element fehlt: Raubtiere. In freier Natur treiben Raubtiere die Pflanzenfresser zu Herdenbildung und ständiger Bewegung. So bekommen die Gräser nach dem Grasen ausreichend Ruhezeit zur Regeneration und durchlaufen ihren optimalen Wachstumszyklus zur Vergrößerung der Biomasse im Boden, unterstützt durch die Ausscheidungen der Tiere.

Ohne diese ständige Herdenbewegung kommt es zur Überweidung: die Tiere grasen zu oft und zu lange an der gleichen Stelle. Andere Teile der Weide bleiben hingegen unberührt, also unterweidet. Das ist ökologisch und wirtschaftlich nicht die optimale Nutzung der Weide.5 Und beides, Über- und Unterweidung, kann zu Bodendegradation und Wüstenbildung (Desertifikation) führen.

Grasland ist in Co-Evolution mit großen Pflanzenfressern entstanden. Überall auf der Welt zogen große Herden von Wiederkäuern regelmäßig über Steppe, Savanne und Prärie, stets in Bewegung auf der Flucht vor Raubtieren. Gazellen, Büffel und Zebras durchstreifen so seit Millionen Jahren die afrikanische Serengeti und pflegen durch ihr arteigenes Verhalten – Fraß, Vertritt, Düngung – die Savanne. Die durch Millionen Bisons geschaffene nordamerikanische Prärie (Great Plains) gehört zu den fruchtbarsten Böden der Welt.

Gutes Weidemanagement beachtet den Wachstumszyklus der Gräser und das historisch natürliche Verhalten der Grasfresser. Es respektiert und imitiert die biologischen Zusammenhänge zwischen Gräsern und Grasern und maximiert so die produzierte Biomasse und das Bodenleben. Das erfordert ein Verständnis der Rolle der Pflanzenfresser in der Natur als Stimulatoren des Pflanzenwachstums und die Steuerung ihrer Bewegungen durch Methoden wie Weiderotation.

[Weiter geht es im kommenden Beitrag]

Fußnoten

  1. Siehe auch Olschewski, Felix (2018) Zahlen zur Klimapflege durch Weidewirtschaft. weidefleisch.org
  2. Siehe auch: Undersander et al. (2002) Pastures for profit: A guide to rotational grazing. (A3529).
  3. Idel, Anita (2010) Die Kuh ist kein Klima-Killer.
  4. FAO (2010) Managing dryland pastoral systems: implications for mitigation and adaptation to climate change.
  5. Undersander et al.: Pastures for profit: A guide to rotational grazing.