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Erhöhe die Weidefleisch-Qualität durch Kugelschuss und Abhängen (Hörbuch Teil 4)

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Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Landschaftspflege: Nutzung zur Fleischerzeugung

Der Verkauf von Tierprodukten (Weidefleisch von Rindern, Schafen etc.) aus der Weidehaltung ist eine Möglichkeit, diese Art des Naturschutzes ökonomisch attraktiver zu gestalten. Das ist besonders dann wichtig, wenn die entsprechenden Flächen in privater Hand liegen. Statt schwer zu bewirtschaftende Flächen zum Beispiel in Hanglage der Verbuschung und Verwaldung (Sukzession) zu überlassen, können Landwirte sie mit Hilfe von Weidetieren pflegen und so Ziele des Naturschutzes erreichen und zugleich profitabel arbeiten. Für den Erhalt des Grünlandes erhalten sie Unterstützung von Bund, EU und Landschaftspflegeverbänden.

Betäubung und Tötung durch Kugelschuss auf der Weide

Bei der Hof- und Weidetötung (teils missverständlich bezeichnet als Weideschlachtung oder verbreitet als Kugelschuss auf der Weide) wird das Tier auf der Weide kontrolliert aus geringer Entfernung durch einen Kopfschuss getötet. Der Transport des lebenden Tieres zum Schlachthaus entfällt. Das Tier erleidet keinerlei Stress, der Tod tritt unmittelbar durch Blutentzug ein. Hinsichtlich des Tierwohls ist dies die humanste Methode der Schlachtung, anders als der Transport ins Schlachthaus oder ein Angriff durch Wildtiere. In Verbindung mit der Mutterkuhhaltung bleiben dem Tier hierbei lebenslang jegliche Transporte erspart. Einzige Alternative wäre der fußläufige Gang der Tiere in eine Schlachterei direkt am Hof.

Weidetötung wirkt sich positiv auf die Fleischqualität aus. Ablesen lässt sich das an Kriterien wie pH-Wert, Zartheit, Farbe und Wasserhaltevermögen. Die prämortalen Belastungsfaktoren sind minimal für das geschossene Tier und die den Abschuss und Zusammenbruch beobachtenden Herdengenossen.1

Hinsichtlich des Tierwohls übertrifft die Betäubung und Tötung per Kugelschuss auf der Weide die Standards der Bio-Siegel wie Naturland und Bioland, deren Tiere in der Regel Tiertransporte erleiden und in regulären Schlachthäusern verarbeitet werden.

Die Tötung auf der Weide ist in Deutschland schon lange gesetzlich verankert, die Hof- und Weidetötung in der Schweiz seit Mai 2016.2

Europaweit geregelt und seit August 2021 national umgesetzt ist die Schlachtung im Herkunftsbetrieb von Rindern, Schweinen und Einhufern unter Nutzung einer mobilen Schlachteinheit.

Der Prozess zur Genehmigung erfordert neben entsprechenden Fortbildungen auch zeitlichen und finanziellen Einsatz. Diese Investitionen nutzen dem Wohl von Tier und Mensch deutlich. Möchte ein Landwirt die teilmobile Schachtung anwenden, so darf er die Betäubung und Tötung der Tiere mit entsprechender Sachkunde selbst durchführen oder kann einen Metzger (Hoftötung) oder Jäger (Weidetötung) beauftragen.3

Bezüglich der praktischen Durchführung liegen unterschiedliche Erfahrungen vor: Der Schuss kann auf der freien Fläche aus geringer Distanz abgegeben werden (Sicherung durch Kugelfang, erhöhte Schussposition). Ebenso ist möglich, in einem Korral zu arbeiten. Jedoch sollte immer eine Gruppe von Tieren beisammen sein.

Der Abschuss selbst ist kein Spektakel. Es knallt, die Tiere schrecken mild auf, eines bricht zusammen. Die übrigen Tiere nehmen das bestenfalls zur Kenntnis und fressen weiter. Es empfiehlt sich, sie alsbald vom Abschussort zu entfernen, damit sie kein Blut riechen. Unter Verwendung einer mobilen Einheit darf das Tier außerhalb dieser entblutet werden, das Blut jedoch ist aufzufangen und am Schlachtbetrieb zu entsorgen.

Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2014 eignet sich für den Kugelschuss in den meisten Fällen am besten das Kaliber .22 Magnum.4

Es habe eine ausreichende Eintrittsenergie, verursache jedoch keine Ausschüsse, was Sicherheit für Mensch und Tier gewährleiste. Allerdings empfiehlt sich das Zurückgreifen auf Erfahrungswerte zum Beispiel vom BSI Schwarzenbek oder Gerd Kämmer von Bunde Wischen eG.

Der Kugelschuss auf der Weide ist kein Standardverfahren. Zur Erleichterung der Beurteilung von Anträgen hat die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e. V. ein Merkblatt zusammengestellt. Es enthält Ausführungen zum Tierschutzrecht, Lebensmittelrecht, Tierseuchenrecht, Ordnungsrecht/Waffenrecht, Genehmigungsverfahren, Organisation und weiteren relevanten Punkten.5

Rechtliche Anforderungen

Wer den Kugelschuss auf der Weide zugunsten der bestmöglichen Fleischqualität umsetzen möchte, muss einigen rechtlichen Anforderungen genügen.

Die neue Gesetzgebung aus dem Jahr 2021 (Kapitel VIa des Anhang III Abschnitt I Verordnung (EG) Nr. 853/2004) beantwortet viele zuvor ungeklärte Fragen. Zu Beachten sind Aspekte aus dem Tierschutzrecht, Lebensmittelrecht, Tierseuchenrecht und Ordnungsrecht (Waffenrecht).

Das Verfahren ist teilmobil, für Rinder gibt es zwei Betäubungsverfahren: Kugelschuss und Bolzenschuss. Bei Fixierung des Kopfes kann der Bolzenschuss auch auf der Weide angewendet werden. Für den Kugelschuss nötig ist eine Schießerlaubnis (Ordnungsamt). Der Schütze muss über eine Sachkundebescheinigung nach Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 verfügen, ein Jagdschein allein reicht nicht aus. Das Ordnungsamt prüft unter anderem die Befähigung des Schützen, Zulässigkeit der Waffe und die örtlichen Gegebenheiten (z. B. Kugelfang). Den Prüfvorbehalt des zuständigen Veterinäramts gibt es nicht mehr. Dank geltendem EU-Recht muss jeder Antragsteller bei Einhaltung der Voraussetzungen eine Genehmigung bekommen.

Für den Antrag beim Veterinäramt, den sowohl Landwirte als auch Schlachthofbetreiber stellen können, ist die Vorbereitung eines Begründungsschreibens sowie eines Ablaufplans in jedem Falle sinnvoll, Muster siehe Anhang. Das Veterinäramt verlangt danach eine schriftliche Vereinbarung über die Durchführungen von Schlachtungen im Herkunftsbetrieb, das die Verantwortlichkeiten regelt. Muster solcher Vereinbarungen sollten die jeweiligen Veterinärämter zur Verfügung stellen. Zu beachten ist, ob Schlachtbetrieb und Landwirt sich ggfs in unterschiedlichen Landkreisen befinden.

Mobile Schlachteinheit

Die neue Gesetzgebung verpflichtet bei der Hof- und Weidetötung zur Nutzung einer mobilen Einheit, die je nach Bundesland jedoch nicht mehr unbedingt Teil eines nach EU-Recht zugelassenen Schlachthofs sein muss. Diese Einheit muss bei der zuständigen Behörde einer Eignungsprüfung unterzogen werden und wird einem Schlachtbetrieb zugeordnet. Die Nutzung durch mehrere Betriebe ist möglich auch über Kreisgrenzen hinweg. Je nach Konzept kann die mobile Schlachteinheit für jeden Schritt des Schlachtvorgangs (z. B. Fixieren, Betäuben, Entbluten) genutzt werden oder nur für den Transport. Das Fahrzeug muss leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein, auslaufsicher und beim Transport fest verschließbar.

Das Abhängen. Was ist Fleischreifung?

Fleisch muss nach dem Schlachten reifen, sonst wird es zäh, trocken und säuerlich. Traditionell ließ man das Fleisch nach dem Schlachten in Hälften oder Vierteln einige Zeit unter kontrollierter Temperatur und Luftfeuchtigkeit am Haken hängen, daher stammt der Begriff Abhängen. Ergebnis gelungener Fleischreifung ist zartes, dunkles, saftiges und aromatisches Fleisch.

Die nötige Zeit hängt ab von Tierart und Fleischstück (Qualität, Zuschnitt, Fettabdeckung). Der optimale Zeitraum ist Geschmacksache, daher fasse ich meine Recherchen mit eigenen Erfahrungen zusammen:

  • Rindfleisch sollte wenigstens vier Wochen reifen. Zwei Wochen, das absolute Minimum, sind verschenktes Potenzial. Oberhalb vier Wochen geht der Zugewinn langsamer voran. Zwei bis drei Monate sind weniger üblich, Extremfälle gehen teils weit darüber hinaus.6
  • Lamm: Wenigstens eine Woche. Mehr ist möglich und ratsam. Hammel: Wenigstens drei Wochen, bis drei Monate sind nicht unüblich.7
  • Schwein: Schweinefleisch verträgt eine einwöchige Fleischreifung. Mehr ist möglich, jedoch selten.8
  • Geflügel: Einige Tage und mehr sind machbar und zuträglich.

Diese Zeiten gelten für das traditionelle Abhängen (Trockenreife, engl. dry-aging). Dabei verliert das Fleisch Feuchtigkeit, wird jedoch saftiger. Was paradox klingt, ist einfach zu erklären: Kurz nach dem Schlachten ist die Wasserbindefähigkeit der Muskeln minimal; sie nimmt erst mit der Reifung wieder zu.

Dem gegenüber steht die Reifung im Plastikbeutel (engl. wet-aging); dabei wird das Fleisch direkt nach der Schlachtung zugeschnitten und verpackt. Es kann auch dann reifen, jedoch nie die Intensität von traditionell abgehangenem Fleisch erreichen. Oft schmeckt es leicht metallisch und säuerlich.9

Falls es besser zur Methode der Vermarktung passt, könnte man auch die für das Hackfleisch vorgesehenen Stücke zum Beispiel bereits nach zwei Wochen ernten und/oder nur den Rückenstrang vier bis sechs Wochen oder länger hängen lassen. Im Falle von Fleischpaketen wird das jedoch selten sinnvoll sein.

Was geschieht bei der Fleischreifung?

Kurz nach dem Schlachten tritt die Totenstarre ein. Den Muskelfasern geht die Energie aus, sie ziehen sich zusammen und bleiben in diesem Zustand. Würde man das Fleisch nun garen, wäre es zäh.

Bald darauf beginnen Enzyme in den Muskelfasern, die Struktur der Filamente zu zersetzen. Der gesamte Muskel erweicht. Das ist der Anfang des Reifeprozesses (engl. aging).

Wie Käse und Wein gewinnt auch Fleisch durch die langsame chemische Veränderung bei der Reifung. Es wird zarter und aromatischer. Geschmack und Textur von Rindfleisch verbessern sich über einen Monat und länger; besonders, wenn große Stücke unverpackt bei 1 – 3 °C und relativer Luftfeuchtigkeit von 70 – 80 % lagern (sogenannte Trockenreife bzw. engl. dry-aging). Die niedrige Temperatur begrenzt das Mikrobenwachstum und die moderate Feuchtigkeit bewirkt einen allmählichen Feuchtigkeitsverlust, das Fleisch verdichtet und konzentriert sich.

Während der Fleischreifung zersetzen Enzyme große, geschmacklose Moleküle in kleine aromatische Fragmente. Proteine verwandeln sie in herzhafte Aminosäuren; Glycogen in süße Glucose; ATP in deftiges IMP und Fette in aromatische Fettsäuren. All diese Abbauprodukte tragen zum intensiv fleischigen, nussigen A Kochen miteinander und reichern den Geschmack weiter an. Deswegen ist eine stressfreie Schlachtung zum Beispiel durch Kugelschuss auf der Weide wichtig: Denn sind die Glycogenspeicher in den Muskeln durch Stress oder Erschöpfung vor dem Tod leer, beeinträchtigt das den Reifeprozess.10

Indem Enzyme die Muskelproteine zersetzen, machen sie das Fleisch zarter. Weitere Folgen dieser Aktivität: Während des Kochens löst sich mehr Kollagen in Gelatine, es wird saftiger; und es schwächt den Druck des Bindegewebes während des Erhitzens. Dadurch verliert das Fleisch beim Kochen weniger Flüssigkeit.

Höhere Temperaturen (bis 40 °C) beschleunigen die Reifeprozesse, allerdings auch das Mikrobenwachstum. Blanchiert man das Fleisch zuvor (um die Mikroben abzutöten), kann man anschließend durch Niedrigtemperaturgaren über mehrere Stunden die höhere Enzymaktivität nutzen.11

Fleischreifung ist, unverblümt ausgedrückt, kontrolliertes Verrotten. Genau wie bei Bier, Sauerteigbrot und Sauerkraut. Im 19. Jahrhundert war es üblich, Fleischstücke Tage oder Wochen bei Zimmertemperatur zu lagern, bis sie außen sichtbar verrottet waren.

Das meiste Fleisch in Supermärkten und Handelsketten ist heute nur zufällig und wenige Tage gereift, nämlich durch die Transportzeit vom Schlachthaus ins Ladenregal. Die traditionelle Trockenreife (engl. dry-aging) ist für die Industrie trotz der höheren Qualität uninteressant, weil sie Zeit kostet und das Fleisch durch den Flüssigkeitsverlust rund 20 % Gewicht einbüßt sowie vertrocknete Oberflächen weggeschnitten werden müssen. Viele Verarbeiter lassen daher das Fleisch nur im Plastikbeutel (wet-aging, siehe oben) reifen.

Das Fleisch aus vier- bis achtwöchiger Trockenreife wiegt weniger, scheint also gegenüber ungereiftem Fleisch teurer. Der Verlust besteht jedoch nur aus etwas Wasser: Der Nährwert eines gut gereiften 160 g-Steaks gleicht dem eines ungereiften 200 g-Steaks. Die Qualität hingegen ist erheblich höher; die Produkte sind nicht vergleichbar. Letztlich hat man beim Essen mehr davon.

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Fußnoten

  1. Katrin Juliane Schiffer (2015) Hofschlachtung von Rindern per Kugelschussmethode. Universität Kassel, ISBN 978-3-8440-3951-1.
  2. FiBL – Medienmitteilung: Weideschlachtung gesetzlich erlaubt. Fibl.org. 3. Juni 2016.
  3. Trampenau, Lea (2011) Kugelschuss auf der Weide – Widersprüchliche Verordnungen behindern tierschutzgerechtes Schlachtverfahren. Kritischer Agrarbericht 2011.
  4. Retz et al (2014) Betäubungswirkung verschiedener Gewehrkaliber bei der Schlachtung von Weiderindern. LANDTECHNIK, 69(6), 296–300.
  5. TVT Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e. V. (2013) Merkblatt Nr. 136 Kugelschuss auf der Weide als Betäubungs- / Tötungsverfahren zur Schlachtung von Rindern. Bramsche.
  6. Dashmaa Dashdorj et al. Dry aging of beef. Review. J Anim Sci Technol. 2016; 58: 20. 19 May 2016.
  7. Dry ageing – improving eating quality, food safety and usage of novel technology Mla.com.au. 22 Aug. 2016.; Sheep Central. Dry-aged mutton premiums possible as WA producer sells ewe carcases for up to $320. 24 Aug. 2016.
  8. Schneller, Chef. Dry Aged Pork? Butcherinfoblog.blogspot.de. 23. Mai 2014 (8 Sept. 2016); falstaff.de. Schweinealt & saugut: Dry Aged Pork. 25. Mai 2016.
  9. Savell, Rosenthal. Dry-aging of Beef. Beefresearch.org. 9 Apr. 2009.
  10. Anna Onopiuk et al. (2016) Influence of post-mortem muscle glycogen content on the quality of beef during aging. J Vet Res 60, 301-307, 2016; G. Wu, Stefan Clerens et al. (2014) Effect of beef ultimate pH and large structural changes with aging on meat tenderness. Meat Science, Volume 98, Issue 4, December 2014, Pages 637-645; Watanabe A et al. (1996) The effects of the ultimate pH of meat on tenderness changes during ageing. Meat Sci. 1996;42(1):67-78; Muhammad I. Khan et al. (2016) Postmortem Aging of Beef with a Special Reference to the Dry Aging. Korean J Food Sci Anim Resour. 2016; 36(2): 159–169.
  11. McGee, Harold. (2004) On Food and Cooking.