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Produkt- und Preisgestaltung in der Weidefleisch-Direktvermarktung optimieren (Hörbuch Teil 11)

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Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Etiketten gestalten

Ein Produktetikett ist mehr als eine Inhaltsbeschreibung. Das Etikett ist Markenpflege und dient der Werbung. Der Milchkarton auf dem Frühstückstisch erinnert alle stets an die Marke und Herkunft der Milch. Jeder im Raum nimmt die Milch wahr und verankert die Marke täglich fester in seinem Bewusstsein.

Eine Plastiktüte mit Fleisch landet nicht auf dem Esstisch, sondern bald nach dem Auftauen im Müll. Das macht das Etikett nicht unwichtig. Es bleibt weiter Teil der Produktgestaltung. Ein ansprechend gestaltetes Etikett schmeichelt dem Auge und macht so schon den Griff in den Gefrier- oder Kühlschrank zu einem Erlebnis. Das dient auch der Wertschätzung und damit der Wertsteigerung. Steht der Markenname (der Name des Erzeuger-Hofs) auf dem Etikett, verankert sich dieser beim Auspacken im Kopf der Person, die für das Kochen (und demnach meist für die Einkäufe) zuständig ist. Stehen Adresse und Rufnummer darauf, prägen sich diese Daten vielleicht ein, wenigstens lässt sich das Produkt so jedoch als Visitenkarte zum Abfotografieren für Freunde und Bekannte in der Küche nutzen. Ein hübsches Logo und eine grafisch ansprechende Gestaltung runden das Etikett ab. Natürlich muss sich der Aufwand in Grenzen halten; die Verpackung landet schnell im Müll. Doch da ohnehin ein Etikett angebracht werden muss, kann man diesen minimalen Mehraufwand mit großer Wirkung auch betreiben.

Einfrieren

Muss das Fleisch vor dem Verkauf eingefroren werden, drängt sich der Einsatz eines Schockfrosters auf. Je schneller das Fleisch gefriert, desto besser behält es seine Qualität. Ein langsamer Gefriervorgang bedeutet mehr Schäden an den Fleischzellen und damit mehr Qualitätsverlust.

Der Preis ist Nebensache: Der Preiskampf ist der falsche Weg

Der Preis spielt eine untergordnete Rolle. Weidefleisch steht nicht in Konkurrenz zu Fleisch aus dem Supermarkt, es ist ein völlig anderes Produkt und das Angebot ist begrenzt. Wer sich für Weidefleisch interessiert, für gutes Essen und vielleicht die Pflege der Umwelt, für den ist der Preis Nebensache. Das ist kein Aufruf zum Wucher, jedoch sollte man auch nicht zaghaft preisen. Irgendwer kann es immer noch billiger anbieten. Einen Preiskampf beginnt jedoch stets der Discounter, auf deren Niveau der Landwirt sich damit begibt.

Irgendjemand wird sich immer über den Preis beschweren. Vielmehr: Wenn sich niemand über den Preis beschwert, ist es eindeutig zu billig.

Nimm den Preis selbst in die Hand

Was soll das Fleisch deiner Tiere kosten? Viel zu oft berücksichtigen Landwirte die Preise im Supermarkt oder beim Discounter und setzen ihren eigenen Preis zu niedrig an. Wer Weidefleisch sucht, bekommt es jedoch nicht beim Discounter und wird es dort auch nicht suchen. Der Fleischpreis dort ist daher kaum von Bedeutung. Auch ist Weidefleisch ein völlig anderes Produkt als die Ware im Supermarkt.

Selbst die Preise anderer Weidefleisch-Erzeuger können im besten Fall nur als Orientierungspunkte dienen. Weidefleisch in der Direktvermarktung ist ein individuelles Produkt, dessen Teil der Landwirt und seine Persönlichkeit selbst ist. Aufgrund dieser Einzigartigkeit sind Käufer auch bereit, mal etwas mehr als beim Mitbewerber zu zahlen.

Zudem bedingt jede Region eine eigene Preisgestaltung. Preise aus dem ländlichen Raum im Norden Deutschlands könnten für den Süden des Landes ungeeignet sein. Das betrifft nicht allein den Grundpreis, sondern besonders das Preisverhältnis einzelner Teile zueinander. Besonders in Süddeutschland ist zum Beispiel der Genuss einiger Innereien weiter verbreitet, wodurch diese einen höheren Preis erzielen können. Hinzu kommen übliche Faktoren wie die wirtschaftlichen und strukturellen Gegebenheiten vor Ort.

Die psychologische Wirkung von Schwellenpreisen ist umstritten und sie verkomplizieren die Handhabe. Die Beispielhafte Preisliste (siehe Anhang) kommt ohne aus.

Wertschöpfung Wurst

Weidefleisch-Käufer sind keine normalen Kunden und eher bereit zu kochen. Für viele Menschen ist Rohware allerdings eine Last und unbequem. Diese Menschen kann man durch Weiterverarbeitung bis hin zu Fertiggerichten (Hausmannskost wie Eintöpfe etc.) erreichen.

Der Rohstoff Fleisch gewinnt für viele Menschen erst durch Weiterverarbeitung Attraktion. Der Trend geht seit mehr als einem halben Jahrhundert zu möglichst wenig Zeit- und Arbeitseinsatz beim Kochen zu Hause. Viele Weidefleisch-Käufer mögen ungewöhnlich starkes Engagement auch in der Küche zeigen und mit einfach zugeschnittenen Stücken zufrieden sein. Doch durch Wurstwaren kann man eine neue Käuferschicht erschließen, darunter solche Kunden, für die Weidehaltung nicht die oberste Priorität ist.

Weidefleisch ist ein Qualitätsprodukt und Qualität überzeugt immer – sofern man entlang der gesamten Wertschöpfungskette sorgfältig arbeitet.

Spätestens zur Grillsaison liegt auf der Hand: Nicht nur spezielle Zuschnitte landen auf dem Feuer, sondern auch Wurst-Delikatessen verschiedener Art. Neben Standard-Würsten finden auch Neukreationen oder traditionelle Zubereitungen immer höheren Anklang – Grillen ist Hobby und zumindest in Deutschland ein Volkssport. Für einen Hofladen kann es rentabel sein, auch entsprechende Gewürze und Marinaden ins Programm aufzunehmen.

Doch es gibt Potenziale jenseits vom Grill: Rinder-Salami, Pastrami und andere Wurstwaren. Hinzu kommen jene Erzeugnisse, die Metzger ohnehin traditionell herstellen wie Gulaschsuppen und andere Eintöpfe. Ob solche Produkte wirtschaftlich zum Erzeuger passen hängt ab von der Zusammenarbeit mit dem Metzger.

Innereien anders verwerten

In einigen Fällen kann sich der reguläre Verkauf der Innereien (siehe Abschnitt Innereien genießen) als zu aufwändig gestalten. Dann bieten sich Alternativen an wie das Abpacken für Haustiere (ein wichtiges Stichwort dazu ist BARF).

Nierenfett und Talg

Rund vier Prozent des Schlachtgewichts machen Nierenfett und Nierenzapfen aus. Das Nierenfett ist ein besonderes (hartes) Fett. Verwendung findet es in der traditionellen Zubereitung von Puddings, Mürbeteigen und anderen Backwaren sowie zum Frittieren: Pommes Frites frittiert in Rindertalg werden besonders knusprig. Nierenfett oder Talg ist vielerorts als Zutat für den Hausgebrauch eine Seltenheit geworden. Doch es ist ein unersetzliches Fett mit einzigartigen Eigenschaften. Auch hier kann sich die Vermarktung lohnen, welche abermals mit Rezepten (z. B. Beef Pie/Steak Pie, Spotted Dick, Christstollen) deutlich leichter fällt.

Alte Tiere vermarkten: Das Beispiel der fetten alten Kuh

Kein Tier ist grundsätzlich zu alt, als dass man sein Fleisch genießen könnte. Zwar sind bei Weidehaltung Schlachtalter um 24 Monate üblich und bis 48 Monate keine Seltenheit. Doch auch bei einem Alter von zehn Jahren und darüber spricht nichts Grundsätzliches gegen eine Verwertung auch als Steak. Dass selbst nach 16 Lebensjahren der Schlachtkörper keinesfalls nur als Hackfleisch enden muss, beweist auch die Metzgerei Txogitxu im Baskenland mit Erfolg: Steakpreise um 60 Euro je Kilo sind realistisch für dieses Fleisch. Das ist zum Teil guter Vermarktung geschuldet, fußt jedoch schlicht auf guter Qualität. Das Fleisch solch alter Tiere ist ein anderes, kein schlechteres Produkt als die gewohnte Ware von jüngeren Tieren. Gerade das Aroma der Steaks einer älteren Milchkuh erinnert durchaus an Wiese, Sahne, Butter. Ohne Frage ist die fette alte Kuh ein Trend. Das Beispiel zeigt: Vieles ist möglich, wenn die Qualität stimmt.

Nicht tun, was der Kunde will

Wer tut, was der Kunde will, führt kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Jeder Kunde möchte etwas anderes und jeder einzelne ändert seine Vorlieben. Wer dem folgt, muss ständig seine Angebote umstellen. Das kostet Zeit und Geld. Man kann niemals alle glücklich machen und wer ein Produkt für alle anbietet, erzeugt genau das: Mittelmaß. Man prüfe zuerst, was man selbst optimal erzeugen kann, was einem selbst gefällt und wohinter man mit voller Leidenschaft steht. Wer das definiert hat, weiß genau, was er anbietet und warum. Dann kann man sich die passenden Kundengruppen suchen und lernen, wie man sie am besten anspricht und was ihre Bedürfnisse sind.

Es spricht nichts dagegen, mehrere Produkte anzubieten und diese für verschiedene Kundengruppen zu optimieren. Doch eine Verwässerung des Angebots verstößt gegen als unumstößlich geltenden Regeln der Vermarktung.^[Al Ries, Jack Trout (1994) The 22 Immutable Laws of Marketing, Harper Business]

Was der Kunde vermeintlich will, bedienen schon Supermarkt und Discounter. Tatsächlich formen diese Unternehmen die Nachfrage selbst, doch das ist ein anderes Thema. Der Landwirt als Individuum kann etwas Neues schaffen. Und wie sollte ein Kunde etwas nachfragen, was er noch gar nicht kennt?

Davon ganz abgesehen ist es üblich, dass Kunden sich zwar etwas wünschen und es nachfragen, dann aber letztlich doch gar nicht kaufen.

Den Kunden ausbilden

Der Käufer weiß viele Dinge nicht und er kann sie nicht wissen. Er kennt sich in der Regel nicht aus mit den Auswirkungen der Weide, der Schlachtung oder Tierrasse auf die Qualität. Auch weiß er manchmal vielleicht viel über die Möglichkeiten unter idealen Bedingungen, jedoch fehlt ihm oft der Einblick in die täglichen Herausforderungen der Erzeugung. Das sind Dinge, die der Erzeuger ihm beibringen kann und muss. Verständnis hilft dem Kunden verstehen, was Weidefleisch ausmacht und das erhöht auch seine Wertschätzung. Der Landwirt muss ihm zeigen, was geht und was nicht; ihn lehren, alles zu verstehen. Das erhöht die Kompetenz des Käufers und er wird es dem Landwirt danken.

Dazu kann auch gehören, den Kunden schmecken zu lassen. Bei einer Veranstaltung zur Verkostung verschiedener Stücke vom Rind kann man zeigen, dass zwei Stücke vom gleichen Rind mehr Unterschiede aufweisen können, als Rind und Schwein. Nierenzapfen, Flat Iron Steak, Skirt Steak und Rump Steak sind zum Beispiel vier Teile mit sehr unterschiedlichen Aromen.

Bei einem Hof-Fest ist der Kunde eingeladen, sich alles genau anzuschauen und zu erleben. Das Erlebnis bleibt im Gedächtnis und dient als dauerhafte Werbung.

Kleine Einheiten anbieten

Wenn die Möglichkeit besteht, kann es sinnvoll sein, wenn man möglichst kleine Einheiten seiner Produkte anbietet. Wer wenig kauft, braucht in der Regel schnell Nachschub. Die Kunden kommen so öfter zum Anbieter und kaufen womöglich bei der Gelegenheit noch andere Produkte.

Öffentlichkeitsarbeit verbessert Preisgefüge

Öffentlichkeitsarbeit verbessert Akzeptanz von und Verständnis für Naturschutz durch Beweidung. Das erhöht die Wertschätzung. Dadurch wird sich auch der Verkaufspreis in der Vermarktung erhöhen lassen. Es empfiehlt sich aus diesem Grund die Zusammenarbeit mit Landschaftspflegeverbänden oder Umweltämtern. Eine Garantie für gute Zusammenarbeit gibt es nicht. Einen Versuch ist es wert.

„Seit Beginn der Beweidung im Jahr 2000 wird das Vorhaben durch eine intensive Pressearbeit und ein breites Angebot an Exkursionen und Informationsveranstaltungen begleitet […] Die Wissensvermittlung unterstützt eine intensivere Wahrnehmung der Landschaft und ihrer Bewohner. Die gewonnene Kenntnis über ökologische Zusammenhänge fördert das Verständnis für die Maßnahmen des Naturschutzes. Laut einer Besucherumfrage wird die Weidelandschaft als besonders ästhetisch und als ursprünglich/natürlich empfunden. […] Der Umstand, dass die Tiere in der unübersichtlichen Landschaft nicht immer zu sehen sind, scheint ihren Reiz zu erhöhen. […] spannendes, sehr direktes Naturerlebnis.“^[Aus Sandkühler, Jutta. (2004) Weidelandschaft und Erholungsnutzung. Mitteilungen aus der NNA 1/2004. Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz.]