Gras hat etwas mit dem Menschen gemein: Es wächst nicht in jedem Alter gleich schnell, sondern erlebt in seiner Jugend einen Wachstumsschub.

Gräser verwandeln mit Hilfe der Sonne durch Photosynthese den Kohlenstoffdioxid aus der Luft in Kohlenhydrate und Sauerstoff. Die Kohlenhydrate nutzen sie entweder für das Wachstum ihrer Blätte oder sie speichern die Energie in ihren Wurzeln. Je größer die Blätter, desto mehr Photosynthese findet statt und desto mehr Energie gewinnen die Gräser.

Mit zunehmender Größe beschleunigt sich das Wachstum. Besonders jetzt kann das Gras zusätzlich viel Energie in den Wurzeln speichern. Das ist seine Art der Vorsorge.

Kurz vor der Blüte und Samenproduktion nimmt das Wachstum ab. Möchte man also möglichst viel Gras erzeugen, sollte man es spätestens jetzt ernten – also beweiden.

Bedienen sich nun Weidetiere an den Pflanzen, verlieren die Gräser einen großen Anteil ihrer Blätter und verfügen dann nur noch über kleine Sonnenkollektoren. Um wieder wachsen zu können, mobilisieren sie die Energie aus ihren Wurzeln und bilden schnell neue bzw. größere Blätter. Dabei stirbt ein Teil der Wurzelmasse ab, deren Kohlenstoff verbleibt als Humus im Boden. Die Gräser sind geschwächt, doch der Wachstumszyklus beginnt von vorne.

Damit das nachhaltig funktioniert, benötigt die Weide jetzt Ruhezeit. Daher ist wichtig: die Weidetiere dürfen nicht auf der Weide bleiben. Gutes Weidemanagement stellt das sicher und verhindert, dass die Tiere die Gräser überweiden und zerstören1.

Das Gras durchläuft nun wieder eine Phase zunehmenden Wachstums, in der es auch seine Energiespeicher in den Wurzeln neu befüllen kann. So verwandelt es Zyklus für Zyklus Kohlenstoffdioxid aus der Luft in Sauerstoff für Tiere und Kohlenstoff im Boden. Die Bodenfruchtbarkeit, ja die Böden selbst wachsen kontinuierlich, unterstützt vom Dung der Tiere.

Innerhalb dieses Wachstumszyklus ändert sich die Qualität des Grases. Je größer es wird, desto mehr Nährstoffe sind in unverdaulicher Form gebunden. Für den Landwirt zählt daher nicht allein der größte Ertrag; er muss auch an den Nährwert für die Tiere denken. Ein erfahrener Landwirt lernt diese Beziehung zwischen Qualität und Ertrag erkennen und optimiert damit sein Weidemanagement. Dazu gehören auch die Wachstums- und Qualitätsschwankungen im Jahresverlauf2. So kann er ein blühendes Ökosystem pflegen, seine Weideerträge optimieren und zugleich die Bodenfruchtbarkeit verbessern und klimawirksame Gase binden.

Im folgenden Video beschreibt Joel Salatin diesen Art der Landwirtschaft als Tanz, als die Choreographie der Polykultur:


Fußnoten

  1. In gesunden Ökosystemen der freien Natur sorgen Raubtiere dafür, dass Herden von Wiederkäuern sich stets bewegen und keine Fläche überweiden.
  2. Siehe auch: Undersander et al.. Pastures for profit: A guide to rotational grazing. 2002 (A3529).