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Weidefleisch verbessert sozioökonomische Verhältnisse (Hörbuch Teil 8)

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Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Sozioökonomie

Weidefleisch nutzt allen Menschen der Region und hilft, Leid in anderen Teilen der Welt zu verhindern.

Die Erzeugung von Weidefleisch schafft und erhält lokale Wertschöpfungsketten. Der Tierhalter kann direkt mit dem örtlichen Metzger zusammenarbeiten und Verbraucher kaufen das Fleisch ihrer Region oder Gemeinde. Statt in international agierende Handelsketten fließt das Geld in die Gemeinde, was auch steuerliche Vorteile für die Kommunen bringt. Die können ihrerseits mehr Geld für das örtliche Gemeinwohl aufwenden. So verbessert sich die Infrastruktur besonders des ländlichen Raums.

Der Wegfall externalisierter Kosten in der Weidehaltung entlastet die Steuerkasse unter anderem durch geringere Kosten für Wasseraufbereitung, Beseitigung von Umweltbeschädigungen und -verschmutzungen durch industrielle Intensivtierhaltung und mehr. Ein Beispiel: Konventionelle Landwirtschaft ist für den Großteil der Stickstoffüberschüsse verantwortlich. Diese verursachen in den USA jährlich Umwelt- und Gesundheitsschäden von rund 210 Milliarden Dollar ($660 USD pro Kopf). Der Lebensmittelpreis spiegelt das nicht wider, die Industrie verlagert die Kosten stattdessen auf die Allgemeinheit.1

Lokale Lebensmittelproduktion schafft Arbeitsplätze, fördert faire Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und dadurch auch bessere Sozialleistungen für alle Beteiligten. Durch die Anerkennung der Arbeiter in der Nahrungskette – Landwirte und Metzger – anstelle von Unternehmen und Marken, interagieren wir menschlich direkt miteinander und schaffen Beziehungen auf Augenhöhe. Das fördert gemeinschaftliches Verständnis und Zusammenhalt.

Die Region wird zudem weniger abhängig von Schwankungen des Weltmarktes, die lokale Wirtschaft gewinnt an Stabilität. Auch der Tourismus gewinnt: Die attraktiven Tiere schmücken und pflegen (siehe auch das Kapitel Landschaftspflege durch Beweidung) das Landschaftsbild und einzigartige kulinarische Erlebnisse ziehen Menschen an. Das Einkommen aus Milchviehhaltung auf Weiden übersteigt oftmals das der konventionellen Haltung.2

Lokale Weidehaltung als Alternative zur industriellen Intensivtierhaltung wirkt auch positiv auf die Wirtschaft anderer Länder: Die Intensivtierhaltung bezieht Futtermittel aus südlichen Entwicklungs- und Schwellenländern wie Brasilien und zerstört dadurch kleinbäuerliche Strukturen. (Zwei Drittel der Proteine in europäischen Futtertrögen stammen von außerhalb der EU.3) Das verschärft die Nahrungsknappheit und führt zu sozialer Erosion. Diese durch nördliche Länder wie Deutschland verursachten sozioökonomischen Schäden reichen aufgrund der folgenden Landflucht bis in die Städte. Der staatlich subventionierte Export billigen Fleischs und Milchpulvers aus der Industrie zurück in die südlichen Länder zerstört durch Niedrigpreise dort zusätzlich lokale Märkte und Handel.4

Dadurch zwingen wir Menschen in Abhängigkeiten und machen Erzeuger arbeitslos. Diese Menschen geraten durch unsere Industrie in wirtschaftliche Bedrängnis und einige suchen in der Folge ihr Glück in anderen Ländern – teils auch in Europa.5

Weidefleisch-Produktion geschieht lokal. Sie bedarf keiner importierten Futtermittel. Das produzierte Fleisch eignet sich aufgrund der geringen Mengen und des höheren Preises nicht als billige Exportware. Die Fleischgewinnung durch Weidehaltung verbessert demnach nicht nur örtlich die sozialen Verhältnisse, sondern auch im entfernten Ausland.

Kultur

Weidefleisch ist ein hochwertiges Erzeugnis. Sein Preis spiegelt den Aufwand realistisch wider. Das gewährleistet Anerkennung des Nahrungsmittels Fleisch und seines Stellenwertes. Statt durch Billigware die Verbreitung von Fastfood-Restaurants und gelb in die Landschaft leuchtender Ms zu fördern, pflegt Weidefleisch eine Kultur der Wertschätzung. Durch den höheren Preis wird Fleisch wieder etwas besonderes, das man nicht nebenher isst, sondern gemeinsam genießt.

Durch diese Pflege der Esskultur tritt Weidefleisch der Wegwerfgesellschaft entgegen, es ist eine klare Entscheidung für Qualität statt Quantität.

Zugleich erneuert Weidefleisch den Stellenwert des Landwirtes in der Gesellschaft. Indem Verbraucher faire Preise zahlen, erkennen Sie die ehrliche Arbeit des Landwirtes an. Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe, eine Kultur des offenen Miteinanders.

Ähnliches gilt für alle anderen Mitarbeiter der Nahrungskette: Durch die höhere Wertschätzung tritt Weidefleisch auch Billiglöhnen in Fastfood-Geschäften und Schlachthäusern entgegen, die mit ihrer Arbeitskultur sozial Schwache ausnutzen.

Warum ist bzw. scheint Weidefleisch teurer?

Weidefleisch ist nur auf den ersten Blick teurer als das Fleisch im Supermarkt oder beim Discounter. Tatsächlich bezahlen wir für das vermeintlich billigere Fleisch aus Intensivtierhaltung auf anderen Wegen viel mehr. Die höheren Kosten sind jedoch versteckt und wir tragen sie durch Steuergelder, Umweltschäden und unsere Gesundheit und Lebensqualität. Weidefleisch hat hingegen in der Regel den echten, ehrlichen Preis.

Die Industrie nutzt folgende Mittel, um niedrigere Produktkosten vorzugaukeln:

Subventionen

Industrielle Intensivtierhaltung erfreut sich vielfältiger Subventionen durch die Agrarpolitik. Diese Politik fördert bevorzugt große Unternehmen, sogenannte Bagatellgrenzen schließen kleine Erzeuger von der Förderung aus. Der Anbau von Futtermitteln oder Energiemais in Monokulturen scheint wirtschaftlich oft gewinnbringender als die Beweidung der Flächen. Für die Industrie lohnt sich daher die Intensivtierhaltung in Mastanlagen: So kann sie billiger produzieren und das Fleisch entsprechend verkaufen. Dem Verbraucher scheint das Fleisch an der Kasse billiger. Allerdings übersieht er dabei die Subventionen, die er selbst durch Steuergelder trägt. Er bezahlt für das Fleisch also zweimal: Einmal im Supermarkt und einmal an das Finanzamt.

Externalisierung

Die Agrarindustrie externalisiert einen großen Teil ihrer Kosten. Sie richtet Umweltschäden an, belastet Gewässer, ruiniert Böden, verbreitet resistente Keime, zerstört lokale Wertschöpfungsketten, erzwingt Niedriglöhne, verursacht soziale Kosten. Den Preis bezahlt nicht die Industrie, sondern die Allgemeinheit. Auch dies spiegelt sich nicht im Produktpreis an der Kasse wider. Abermals zahlen wir mehrfach für das vermeintliche billige Fleisch: An der Kasse und durch Naturschäden und Versuche zur Wiederherstellung, durch unfruchtbare Böden, Krankheit und soziale Erosion.

Skaleneffekt (economies of scale)

Massenproduktion ist meist billiger. Das spricht zunächst wertfrei für die Massenproduktion. Die Verhältnisse in großen Schlachthäusern zeigen jedoch immer wieder, dass die massenweise Fleischproduktion hohe Kosten für Mensch und Tier trägt. Arbeiter in solchen Fabriken müssen unter immer höherem Druck arbeiten und das Verletzungsrisiko steigt. Zugleich kann die Sorgfalt mit steigendem Tempo nur sinken. Die Folge sind neben Verletzungen und mangelnder Hygiene auch Fehler bei der Schlachtung, die Leid und Schmerz für die Tiere bedeuten. Das sind hohe Kosten; sie sind unbezahlbar.

Der Skaleneffekt trifft in Maßen zu. Ein höherer Durchsatz, etwa zwei Schweine statt nur eines auf dem Anhänger, ist oftmals wirtschaftlicher. Doch in der Nahrungsmittelerzeugung gerade bei Tierprodukten hat die Massenproduktion schnell negative Folgen.

Qualität (Wasser im Fleisch)

Fleisch aus industrieller Intensivtierhaltung enthält oft größere Mengen Wasser, welches beim Garen austritt. Weithin bekannt sind Steaks, denen man beim Schrumpfen in der Pfanne zusehen kann. Da geht er dahin, der scheinbar günstigere Preis. Mag das Industriefleisch an der Kasse noch billiger sein als Weidefleisch, spätestens auf dem Teller erkennt man die Wahrheit: Weidefleisch enthält mehr Fleisch als viele der konventionellen Produkte.

Ein Paradigmenwechsel: Wieviel Land ist ein Steak?

Landwirtschaft betreiben wir derzeit überwiegend auf zwei Wegen. Entweder wir erzeugen auf unserem Land, was wir gerne hätten. Oder wir erzeugen alles, was wir aus unserem Boden herausholen können. Wir bauen also alles an, was wir wollen oder was das Land hergibt. Ganz gleich ob mit konventionellen oder ökologischen Methoden.

Und dann stellen wir Fragen wie „Wie viel Land braucht man, um einen Menschen zu ernähren?“ Auch der Forscher John Jeavons ist dieser Frage nachgegangen. Sein Ergebnis nach nun rund 50 Jahren in der Praxis: 400 Quadratmeter würden in unseren Breitengraden genügen, um einen Menschen zu ernähren – und mit Kleidung zu versorgen. Bei ökologischem Vorgehen.

400 Quadratmeter. Was sagt uns diese Zahl? Erst einmal könnte sie beeindrucken und vielleicht zur Bescheidenheit mahnen. Denn Land ist begrenzt und die Weltbevölkerung wächst. Doch es wäre ein fataler Trugschluss, aus diesem Grund auf bestimmte Lebensmittel grundsätzlich zu verzichten.

Richtig ist: Die Erzeugung von Fleisch benötigt in der Regel pro Kalorie deutlich mehr Fläche als pflanzliche Lebensmittel. Und derzeit nutzen wir viele Flächen zur Erzeugung von Fleisch, auf denen wir zwecks Ernährung besser pflanzliche Lebensmittel erzeugen sollten. Da besteht gar kein Zweifel.

Allerdings ist unsere geliebte Mutter Erde keine gleichförmige Excel-Tabelle: Die Ökosysteme und damit auch die Anbaubedingungen unterscheiden sich überall.

Aufschluss bringt erst ein anderer Blickwinkel: Was erfordert die Fläche? Statt eine Fläche umzubrechen oder mit Rindern zu vereinnahmen, sollte der erste Gedanke dem Gut Land selbst gelten: Wie kann ich dieses Land erhalten und pflegen? Mit welcher landwirtschaftlichen Nutzung ist dies am besten vereinbar? Einige Flächen schreien dann nach Obstwiesen, andere nach Beweidung und wieder andere ermöglichen einen ökologisch rücksichtsvollen Gemüseanbau. Und manche Flächen glänzen nur als Wald.

Viele Böden eignen sich nicht für den Ackerbau und auch nicht für Wälder. In solchen Fällen ermöglicht Viehhaltung überhaupt erst die Nutzung der Fläche zur Gewinnung von Nahrungsmitteln.

Wieviel Land benötigt also ein Steak? Wenn alle Parameter der Erzeugung feststehen, können wir das mit betriebswirtschaftlichen Mitteln ausrechnen, kommen der Realität aber keinen Quadratzentimeter näher. Steaks laufen nicht auf dem Land herum. Steaks sind – Fleisch ist – ein Erzeugnis aus einem komplexen System, welches die Kompartmentalisierung der wirtschaftswissenschaftlichen Denkweise nicht realistisch abbilden vermag.

Weidefleisch tritt dem entgegen und begrüßt die Vielfalt und Komplexität der Natur, aus der es stammt. Wollen wir es dauerhaft genießen, erfordert das Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und Aufrichtigkeit beim Überdenken der eigenen Ernährung und dem eigenen Platz in der Welt.

Fußnoten

  1. s.a. Daniel J Sobota et al. Cost of reactive nitrogen release from human activities to the environment in the United States. Environmental Research Letters, Volume 10, Number 2. 17 Feb. 2015.
  2. Elsäßer, Jilg, Over (2007) Projekt ‚Weidemilch‘: Die ersten Ergebnisse, Top Agrar 4/2007.
  3. Quelle: Idel, Anita (2010) Die Kuh ist kein Klima-Killer. Metropolis-Verlag, Marburg. S. 61.
  4. Alexander Göbel (14 Dezember 2015.) Das Märchen vom fairen Handel – Wie die EU Ghanas Geflügelwirtschaft zerstört. Deutschlandfunk; Tagesschau.de. Wie die EU Ghanas Geflügelwirtschaft zerstört. tagesschau.de. 14 Dec. 2015; Zeit Online vom 20. Januar 2015. Export: Billigfleisch für Afrika. zeit.de.
  5. Alexander Göbel (14 Dezember 2015.) Das Märchen vom fairen Handel – Wie die EU Ghanas Geflügelwirtschaft zerstört. Deutschlandfunk; Tagesschau.de. Wie die EU Ghanas Geflügelwirtschaft zerstört. tagesschau.de. 14 Dec. 2015; Zeit Online vom 20. Januar 2015. Export: Billigfleisch für Afrika. zeit.de.