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Weidefleisch bietet Vorteile für Geschmack, Tierwohl, Umwelt & Klima (Hörbuch Teil 5)

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Diese Beitragsreihe besteht aus Auszügen des neuen Buchs Weidefleisch – Handbuch für Erzeuger und Verbraucher, das im Januar 2022 unter der ISBN 978-3755781868 überall im Handel erschienen ist (auch bei Amazon und BoD). Im Beitrag finden Sie oben einen Player zum weidefleisch.org-Podcast, in dem das Buch episodenweise als Hörbuch zur Verfügung steht.

Die Vorteile von Weidefleisch

Weidefleisch bietet gegenüber Fleisch aus konventioneller Haltung Vorteile in allen Bereichen: Geschmack, Gesundheit, Ökologie, Sozioökonomie. Doch wir essen überwiegend, was uns schmeckt. Ein Lebensmittel kann noch so gesund und ökologisch und fair produziert sein – wenn es nicht schmeckt, essen wir es nicht. Geschmack treibt unsere Ernährung an. Wenden wir uns also zuerst dem Geschmack zu.

Geschmack

Weidefleisch schmeckt intensiver, denn es enthält mehr Nährstoffe (Geschmack und Nährstoffgehalt sind verknüpft).1 Das Fleisch ist weniger fett und die Fettsäuren sind anders zusammengesetzt.2 Auch das kann man schmecken. 
Weidefleisch stammt von Tieren, die sich in ihrem Leben viel bewegt haben. Entsprechend sind die Muskeln gut strukturiert. Deswegen schrumpft Weidefleisch in der Pfanne nicht so stark zusammen wie herkömmliches Fleisch, welches oft mehr Wasser enthält. Man hat also mehr von Weidefleisch. 
Auch die Betäubung und Tötung auf der Weide wirken sich vorteilhaft auf die Qualität des Fleischs aus. Das zeigen messbare Kennzeichen wie pH-Wert, Zartheit, Farbe und Wasserhaltevermögen. Die Belastung vor dem Tod ist für das geschossene Tier und die beobachtenden Herdengenossen minimal.3 
Konsequente Weidehaltung ist damit der einzige Weg, zuverlässig Fleisch von höchster Qualität zu erzeugen.

Tierwohl

Für das Tierwohl ist Weidehaltung das Beste: Rinder sind Wiederkäuer, ihre natürliche Nahrung sind Gräser und Kräuter. Durch ihr Verdauungssystem können sie von dieser nährstoffarmen Nahrung auf kargen und vom Menschen sonst nicht nutzbaren Flächen leben. 

Füttert man Rinder stattdessen überwiegend mit Silage, Getreide und ähnlichem Kraftfutter, wie in der industriellen Intensivtierhaltung üblich, übersäuert ihr Magensystem. Sie erkranken dann häufiger an Azidose, Durchfall, Geschwüren, Leberschäden und benötigen medikamentöse Behandlung.4 Durch Übersäuerung und starke Gasbildung im Magen sterben bis zu 3 % aller Rinder in Intensivtierhaltung.5 

Natürlicher Lebensraum der Rinder ist die Herde auf der Weide, wo sie ihr eigenes Verhalten voll ausdrücken können. Nur auf der Weide ist die Haltung dieser domestizierten Tiere tiergerecht bzw. artgerecht (Mehr zur Differenzierung dieser Begriffe im folgenden Abschnitt *Artgerecht oder Tiergerecht?*)

Die Haltung in Ställen führt hingegen häufig zu Verhaltensstörungen und Stress und belastet dadurch das Immunsystem der Tiere.6 

In Stallanlagen stehen die Tiere häufig in Fäkalien, die staubige Luft durch getrockneten Kot und Futter belastet ihre Atemwege und es kommt zu Lungenentzündungen.7

Zur einfacheren Haltung und zur Vermeidung von Verletzungen werden Rinder in Intensivtierhaltung in der Regel enthornt. Das soll die Verletzungsgefahr für Tier und Mensch in engen Ställen verringern, jedoch beeinträchtigt es die Tiere. Bei einigen Rassen dienen Hörner zur Kühlung bei hohen Temperaturen, auch gibt es Hinweise auf einen Einfluss der Hörner auf das Hormon- und Verdauungssystem sowie den Gleichgewichtssinn.8 Deswegen untersagt zum Beispiel der Demeter-Verband das Enthornen.9 Wird ein Tier nicht fachgerecht enthornt, kann es ein Leben lang Schmerzen leiden. Der Umgang mit horntragenden Tieren ist bei entsprechender Sorgfalt praktikabel.

Artgerecht oder Tiergerecht?

Was ist artgerechte Tierhaltung? Man kann argumentieren, es gebe keine artgerechte Tierhaltung, weil keine Tierart von Natur aus *gehalten* wird. Jede Art der Tierhaltung, egal wie tierfreundlich, wäre demnach tierfremd und nicht artgerecht. Fraglich ist allerdings, wie artgerecht das Leben jeglicher Tiere in einer weitgehend vom Menschen (seinerseits selbst Teil der Natur) geprägten Welt ist. Die verhungerten Tiere im Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen sind eines von vielen Beispielen dafür: Sollen weiterhin Tiere verhungern oder sollte man die Bestände durch Erschießen oder durch Einführung von Raubtieren kontrollieren? Raubtiere mögen brutal wirken, wären jedoch aus Sicht der Artenvielfalt und zugunsten eines stabilen Ökosystems sicherlich die beste Wahl. Die Frage nach Natürlichkeit ist hinfällig. Ist das Überqueren einer Straße für einen freilebenden Fuchs natürlich? 

Dem gegenüber hat sich die Bezeichnung tiergerechte Haltung entwickelt. Sie betont das Wohlergehen des einzelnen Tieres und reagiert zugleich auf die begriffliche Problematik artgerechter Haltung. Mit tiergerechter Haltung lässt sich allerdings sehr leicht eine artfremde Haltung rechtfertigen. Für die Milchleistung von Hochleistungskühen etwa bedürfen diese einer (artfremden) Versorgung mit Kraftfutter, welches für die Tiere oft ungesund ist. Tiergerechte Haltung erlaubt demnach die Züchtung von Tieren zu extremen, artfremden Leistungen – und einer entsprechend artfremden Behandlung und Fütterung. 

Wenn wir den Begriff artgerecht benutzen, weiß im Grunde jeder, was gemeint ist. Auch dann, wenn über die Bedingungen im Detail kein Konsens herrscht. Physische Gesundheit, das Ausleben natürlicher Verhaltensweisen, minimaler Stress:10 Das Wohl des Tieres, ein gutes oder natürliches Leben stehen im Mittelpunkt. 

Ein weiterer Begriff ist die wesensgemäße Tierhaltung, oft verwendet im Zusammenhang mit Bienen. Diese Tiere sind insofern ein Sonderfall, als sie nicht domestiziert sind und dennoch vom Menschen gehalten werden: Eine Mischform von Wild- und Haustier.

Unterartgerechte Haltung?

Knüpfen wir an die anfängliche Argumentation an: Keine Tierart (Spezies) wird von Natur aus gehalten. Jedoch haben sich bestimmte Unterarten (Subspezies) in Co-Evolution mit dem Menschen entwickelt, durch Domestizierung. Das sind unsere heutigen Haustiere. Sie sind keine Tierarten, sondern Tierunterarten. Es liegt in der Natur dieser Unterarten, dass sie zusammen mit dem Menschen leben und gehalten werden. Es gibt also Unterartgerechte Haltung.

Der Konsens über unterartgerechte Tierhaltung ließe sich einfacher herbeiführen. Er beinhaltet in jedem Falle maximales Tierwohl, die Möglichkeit, das natürliche Verhalten auszudrücken und artgerechtes Futter. Im Detail hängt jedoch auch das von Perspektiven ab, von regionalen Gegebenheiten und jeweiligen Rassen.

Letztlich handelt es sich hier um sprachliche Details. Spricht jemand von artgerechter Haltung, weiß jeder, was gemeint ist. Das ist Sinn und Zweck von Sprache. Die Einführung immer neuer Worte trägt nicht unbedingt zur Klarheit bei. In diesem Fall scheint sinnvoll, sich statt über den Begriff mehr Gedanken über die tatsächlichen Voraussetzungen für maximales Tierwohl zu machen. Denn genau das sollte unser Ziel sein.

Umwelt und Klima

Afrikas Serengeti, die nordamerikanische Prärie, die Steppen der Ukraine und Mongolei: sie gehören heute zu den weltweit ertragreichsten Böden. Entstehen konnten diese artenreichen Lebensräume nur durch Co-Evolution von Weidetieren mit Gräsern.

Rinder sind als Wiederkäuer natürlicher und wesentlicher Teil des Ökosystems Grasland. Sie fördern den Wachstumszyklus der Gräser und die biologische Vielfalt. Die Landschaftspflege durch Weidetiere führt zu gesünderen Böden mit besserer Wasserspeicherfähigkeit, höherer Artenvielfalt der Gräser und Kräuter und zu besserem Klima.11 Dadurch wird der Lebensraum auch für mehr Insektenarten attraktiver, welche ihrerseits mehr Vogelspezies anziehen.12 

[Weiter geht es im kommenden Beitrag]

Fußnoten

  1. Goff Sa And Klee Hj. *Plant volatile compounds: sensory cues for health and nutritional value?* Science. 2006 Feb 10;311(5762):815-9.
  2. T.h. Adams. Impact of grass/forage feeding versus grain finishing on beef nutrients and sensory quality: The U.S. experience. Meat Science, 96(1), 535–540.; Cynthia A Daley. *A review of fatty acid profiles and antioxidant content in grass-fed and grain-fed beef.* Nutrition Journal 2010, 9:10.
  3. Die prämortalen Belastungsfaktoren sind für das geschossene Tier und die den Abschuss und Zusammenbruch beobachtenden Herdengenossen minimal, siehe auch Katrin Juliane Schiffer (2015) *Hofschlachtung von Rindern per Kugelschussmethode.* Universität Kassel, ISBN 978-3-8440-3951-1.
  4. Je, Nocek. *Bovine acidosis: implications on laminitis.* J Dairy Sci. 1997 May;80(5):1005-28.; Australian Veterinary Association. *Ruminal Acidosis – understandings, prevention and treatment.* June 2007
  5. *A Greener World. The Grassfed Primer.* Web. 25. Aug. 2016
  6. Shahhosseini, Yazdan. 2013. *Cattle Behaviour – Appearance of Behaviour in Wild and Confinement.* Swedish University of Agricultural Sciences
  7. Iowa State University *Livestock Confinement Dusts and Gases.* Nasdonline.org. 11 Sept. 2009.; Russell Jb , Et Al. *Potential effect of cattle diets on the transmission of pathogenic Escherichia coli to humans.* Microbes Infect. 2000 Jan;2(1):45-53.
  8. K Picard. *Differences in thermal conductivity of tropical and temperate bovid horns.* ResearchGate. 1 Jan. 1999. Web. 25 Aug. 2016.; Ton Baars, Daniel Kusche, Jenifer Wohlers, Stephan Mosler. 2011. *Milchqualität Biologisch-Dynamisch – Gibt Es Da Unterschiede?* Lebendige Erde 1:2011: 42–45.; Kremer, Hans-Josef. *Feld & Stall: Lebendige Erde: Zeitschrift für biologisch-dynamische Landwirtschaft, Ernährung, Kultur.* Lebendigeerde.de. 2011. Web. 12 Aug. 2016.
  9. N.a. *Demeter Milch und Milchprodukte | Demeter e. V.* 6. Aug. 2011
  10. Zu verschiedenen Perspektiven siehe auch Fraser, David: *Understanding animal welfare.* PubMed Central (PMC). Acta Vet Scand. 2008; 50(Suppl 1): S1., 19 Aug. 2008.
  11. Salatin, Joel. 2016. *Cows, Carbon and Climate* | Joel Salatin | TEDxCharlottesville. Youtube.; Weber, K. T. *Effect of grazing on soil-water content in semiarid rangelands of southeast Idaho.* ResearchGate. 1 May 2011.; Collins, Scott L. *Modulation of Diversity by Grazing and Mowing in Native Tallgrass Prairie.* Science. Science.sciencemag.org. American Association for the Advancement of Science, 1 May 1998.; Bullock, James M., Bridget A. Emmett, Richard F. Pywell, Ben Woodcock, Matthew S. Heard, Claire Carvell, and Richard J. &. Others Pakeman. 2011. *Semi-Natural Grasslands [chapter 6]. In UK National Ecosystem Assessment. Understanding Nature’s Value to Society.* Technical Report, 161–96. Cambridge: UNEP-WCMC.
  12. R. Van Der Wal. *UK National Ecosystem Assessment. Chapter 4: Mountains, Moorlands and Heaths.* ResearchGate. 14 February 2014.; Ruf, M. *Effects of extensive year-round grazing on breeding bird communities in Northern Germany.* 2010 pp.735-737