Was ist artgerechte Tierhaltung? Man kann argumentieren, dass es keine artgerechte Tierhaltung gibt, weil keine Tierart von Natur aus gehalten wird. Jede Art der Tierhaltung, egal wie tierfreundlich, wäre demnach tierfremd und nicht artgerecht. Fraglich ist allerdings auch, wie artgerecht das Leben jeglicher Tiere in einer weitgehend vom Menschen (seinerseits selbst Teil der Natur) geprägten Welt ist1. Ist das Überqueren einer Straße für einen freilebenden Fuchs natürlich?

Dem gegenüber hat sich die Bezeichnung tiergerechte Haltung entwickelt. Sie betont das Wohlergehen des einzelnen Tieres und reagiert zugleich auf die begriffliche Problematik artgerechter Haltung. Mit Tiergerechter Haltung lässt sich allerdings sehr leicht eine artfremde Haltung rechtfertigen. Für die hohe Milchleistung von Hochleistungskühen etwa bedürfen diese einer (artfremden) Versorgung mit Kraftfutter, welches für die Tiere oft ungesund ist. Tiergerechte Haltung erlaubt demnach die Züchtung von Tieren zu extremen, artfremden Leistungen – und einer entsprechend artfremden Behandlung und Fütterung.

Wenn wir den Begriff artgerecht benutzen, weiß im Grunde jeder, was gemeint ist. Auch dann, wenn über die Bedingungen im Detail kein Konsens herrscht. Physische Gesundheit, das Ausleben natürlicher Verhaltensweisen, minimaler Stress2: Das Wohl des Tieres, ein gutes oder natürliches Leben stehen im Mittelpunkt3.

Ein weiterer Begriff ist die wesensgemäße Tierhaltung, oft verwendet im Zusammenhang mit Bienen. Diese Tiere sind insofern ein Sonderfall, als sie nicht domestiziert sind und dennoch vom Menschen gehalten werden. Eine Mischform von Wild- und Haustier.

Unterartgerechte Haltung?

Knüpfen wir an die anfängliche Argumentation an: Keine Tierart (Spezies) wird von Natur aus gehalten. Jedoch haben sich bestimmte Unterarten (Subspezies) in Co-Evolution mit dem Menschen entwickelt, durch Domestizierung. Das sind unsere heutigen Haustiere. Sie sind keine Tierarten, sondern Tierunterarten. Es liegt in der Natur dieser Unterarten, dass sie zusammen mit dem Menschen leben und gehalten werden. Es gibt also Unterartgerechte Haltung.

Der Konsens über unterartgerechte Tierhaltung ließe sich einfacher herbeiführen. Er beinhaltet in jedem Falle maximales Tierwohl, die Möglichkeit, das natürliche Verhalten auszudrücken und artgerechtes Futter. Im Detail hängt jedoch auch das ab von Perspektiven, regionalen Gegebenheiten und jeweiligen Rassen.

Letztlich handelt es sich hier um sprachliche Details. Spricht jemand von artgerechter Haltung, weiß jeder, was gemeint ist. Das ist Sinn und Zweck von Sprache. Die Einführung immer neuer Worte trägt nicht unbedingt zur Klarheit bei. In diesem Fall scheint es sinnvoll, sich statt über den Begriff mehr Gedanken über die tatsächlichen Voraussetzungen für maximales Tierwohl zu machen. Denn genau das sollte unser Ziel sein.

Fußnoten

  1. Die verhungerten Tiere im Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen sind eines von vielen Beispielen dafür: Sollen weiterhin Tiere verhungern oder sollte man die Bestände durch Erschießen oder durch Einführung von Raubtieren kontrollieren? Raubtiere mögen brutal wirken, wären jedoch aus Sicht der Artenvielfalt und zugunsten eines stabilen Ökosystems sicherlich die beste Wahl.
  2. Zu verschiedenen Perspektiven siehe auch Fraser, David: Understanding animal welfare. PubMed Central (PMC). Acta Vet Scand. 2008; 50(Suppl 1): S1., 19 Aug. 2008. <https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4235121/>
  3. Mehr zum Tierwohl durch Weidehaltung unter Vorteile/Tierwohl