Tierhaltung auf Weiden und in Wäldern erhöht die Artenvielfalt und stabilisiert dadurch unsere Ökosysteme und Lebens- und Ernährungsgrundlage.

Große Weidetiere wie Rinder und Pferde schaffen in Hutewäldern bzw. in der Waldweide einzigartige Lebensräume und Nischen für andere Arten. Schmetterlingsarten wie der Zipfelfalter und Heckenwollafter haben hohe Ansprüche an ihre Umgebung. Arten wie sie benötigen zur Ablage ihrer Eier geschnittene oder von Großtieren verbissene starkstämmige, tiefwüchsige Schlehenbüsche.

Die großen Weidetiere verursachen positive Verwüstung (Devastierung). Durch Verbiss und Vertritt eröffnen Sie winzige Risse im Ökosystem, die anderen Arten neue Lebensräume bieten. Beweiden sie Ufer und Röhrichte, erwärmt sich durch den stärkeren Lichteinfall das Wasser zur Laichzeit im Frühjahr stärker, was für die Laich- und Larvenentwicklung von Vorteil ist. Durch das Zurückdrängen des Schilfes kann Lebensraum für die Sumpfschrecke entstehen. Kürzere Süß- und Sauergräser im Uferbereich verbessern die Lebensbedingungen von Wechselkröten.1 Dadurch gewinnen die Bestände von Grünfrosch und Laubfrosch, Gelb- und Rotbauchunke, Kreuzkröte, Moorfrosch und Kammmolch. Selbst der Viehtritt hilft den Amphibien: Er bildet Kleinstgewässer, ein Rückzugsraum für Frosch und Co. Auch die Huftierpfade bilden einen besonderen Lebensraum für Laufkäfer und Stechimmen.

Weidetiere transportieren in ihrem Fell Pflanzensamen, Früchte und Sporen, sogar Reptilien, Käfer, Wanzen, Spinnen und Schnecken über weite Strecken und helfen so bei deren Verbreitung. Je nach Region und Jahreszeit haften im Fell eines Schafes bis zu 8.500 Samen von 57 Arten, können dort 100 Tage verbleiben und werden so über hunderte Kilometer transportiert.2

Ihr Kot bietet Lebensraum für zahlreiche Dungkäfer, die ihrerseits Futtergrundlage für bedrohte Vogelarten wie die Blauracke sind. Einige Fledermausarten wie die Große Hufeisennase sind auf solche Käfer angewiesen, die vom Dung der großen Pflanzenfresser leben. Diese Tiere leiden direkt und indirekt durch den Einsatz von Parasitenbehandlungsmitteln bei Rindern, da der Kot von behandelten Tieren kaum durch entsprechende Käfer besiedelt wird und besonders junge Fledermäuse durch die Medikamente bedroht sind, die sie mit der Nahrung aufnehmen.

Auch viele Vogelarten erscheinen in den neu entstandenen Weidelandschaften: Wachtelkönig, Kiebitz, Flussregenpfeifer, Grauammer, Heidelerche, Dorn- und Sperbergrasmücke, Braun- und Schwarzkehlchen, Raubwürger, Rebhuhn und Wachtel. Diese zeigen sonst großräumig einen dramatischen Rückgang.

Warum ist Artenvielfalt wichtig? Brauchen wir all diese Arten?

Ein bekanntes Gegenteil hoher Artenvielfalt ist die Monokultur: Der Anbau nur einer einzigen Nutzpflanze auf großen Flächen. Ein solches Gebilde ist anfällig. Eine einzige Krankheit genügt, um alle Pflanzen zu töten. Hohe Artenvielfalt macht ein Ökosystem hingegen robust.3 Je mehr Arten es gibt, desto weniger empfindlich ist das gesamte Leben in diesem Gebiet. Selbst wenn eine Art ganz ausstirbt, leben noch viele andere Arten. Außerdem herrscht so viel Bewegung und Wettkampf zwischen den Spezies, dass verheerende Krankheiten allgemein weniger Angriffspunkte haben.

Die Artenvielfalt ist zudem der genetische Reichtum der Welt. Wie eine Schatztruhe, aus der wir alle uns bedienen können. Wir essen heute überwiegend Kulturpflanzen, die wir allesamt aus der Vielfalt der Natur gewonnen haben. Und engagierte Züchter setzen die Arbeit mit Landsorten fort, entdecken also stets neue Schätze im Genmaterial. Hohe Artenvielfalt dient unserer Ernährungsicherung.

Sind Weidefleisch und Weidehaltung immer gut für die Artenvielfalt?

Nicht jede Weidehaltung wirkt sich unmittelbar vorteilhaft auf die Artenvielfalt aus. Anders als in der industriellen Intensivtierhaltung, welche durch Monokulturen und hohe Schadstoffbelastungen der Artenvielfalt und Umwelt prinzipiell schadet, birgt jedoch die Weidehaltung großes Potenzial zum Natur- und Klimaschutz. Durch sorgfältiges Weidemanagement können Land- und Forstwirte die Besatzdichten zugunsten eines blühenden Ökosystems steuern. Erhöhte Artenvielfalt durch Beweidung kann dann ein zusätzlicher ökologischer neben dem ökonomischen Gewinn sein.

Fußnoten

  1. M. Bunzel-Drüke et al.. (2008) „Wilde Weiden“ – Praxisleitfaden für Ganzjahresbeweidung in Naturschutz und Landschaftsentwicklung. Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. (ABU), Bad Sassendorf-Lohne.
  2. Jedicke, Eckhard (2015 )„Lebender Biotopverbund“ in Weidelandschaften. Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (8/9), 2015, 257-262, ISSN 0940-6808.
  3. Ingrid M. Parker et al.. Phylogenetic structure and host abundance drive disease pressure in communities. Nature 520, 542–544. 23 Apr. 2015.